Para-Leichtathletik-WM: 21 deutsche Athleten gewinnen 22 Medaillen
London, 24. Juli 2017. Einen kompletten Medaillensatz hat die Deutsche Paralympische Mannschaft zum Abschluss bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London bejubelt. Die 4×100-Meter-Staffel mit Tom-Sengua Malutedi, LĂ©on SchĂ€fer, Markus Rehm und Johannes Floors gewann Gold, Irmgard Bensusan ĂŒber 200 Meter Silber und Alhassane BaldĂ© ĂŒber 5000 Meter Bronze. Das Fazit fiel aus deutscher Sicht entsprechend positiv aus â bis auf die Berichterstattung im TV.
Die deutsche Staffel hatte sich nach dem Zieleinlauf in 42,81 Sekunden hinter den USA und vor Italien eigentlich schon ĂŒber Silber gefreut. Weil Felix Streng, David Behre und Ersatzmann Heinrich Popow verletzt fehlten, sprangen LĂ©on SchĂ€fer und Tom-Sengua Malutedi ein. Malutedi wurde extra von Bundestrainer Willi Gernemann nachnominiert und machte in London sein erstes internationales Rennen, nachdem der ehemalige Bundesliga-Boxer erst Anfang dieses Jahres mit der Leichtathletik begonnen hatte.
âIch dachte mir, wann geht es endlich los, ich war innerlich am Brennenâ, sagte Malutedi und SchĂ€fer, an den er ĂŒbergeben hatte, fĂŒgt hinzu: âEs hat ganz gut geklappt bis auf die kleine Unsicherheit mit mir. Ich bin einfach happy.â
In den Katakomben nach dem Rennen fĂŒhlten sich dann alle plötzlich an Rio erinnert: Ein Wechselfehler der USA â und Deutschland war plötzlich Weltmeister, Ă€hnlich wie bei den Paralympics, als es ebenfalls eine Disqualifikation gegeben hatte. Somit verteidigt die deutsche Staffel in einer völlig neuen Besetzung den Titel, den sie 2015 in Doha (Katar) gewonnen hatten.
âWir sind ein super Rennen gelaufen in der Konstellation, schlieĂlich haben wir davor ja kaum miteinander trainiert. Als die Nachricht mit der Disqualifikation kam, haben wir einfach gefeiertâ, sagte Rehm, fĂŒr den es nach Gold im Weitsprung die zweite Medaille war. Trainer Karl-Heinz DĂŒe, der wie die StaffellĂ€ufer vom TSV Bayer 04 Leverkusen kommt, lieĂ in dieser Woche ein Mal Wechsel ĂŒben â davor hatte es kein gemeinsames Training gegeben.
Johannes Floors, mit drei Gold- und einer Silbermedaille einer der erfolgreichsten Athleten der Weltmeisterschaften, war als SchlusslĂ€ufer völlig geflasht: âEs ist so toll, dass man am Ende der Championships noch mal zusammenkommt zu so einem Team-Event, sonst ist man immer alleine unterwegs. Die Staffel gehört einfach dazu.â LĂ©on SchĂ€fer richtete auch noch einen GruĂ an die drei Verletzten: âDie Jungs haben auf jeden Fall am Livestream mitgefiebert. Danke fĂŒr alles!â
Silber fĂŒr Irmgard Bensusan, Bronze fĂŒr Alhassane BaldĂ©
Eine Stunde zuvor hatte Irmgard Bensusan mit Silber ĂŒber 200 Meter ihre zweite Medaille nach Gold ĂŒber 400 Meter gewonnen. Im strömenden Regen blieb die 26-JĂ€hrige in 27,13 Sekunden nur hinter der niederlĂ€ndischen Paralympics-Siegerin Marlou van Rhijn. âAls ich noch in SĂŒdafrika gelebt habe, dachte ich immer: Nein, es regnet, ich will nicht laufen. Seit ich aber in Deutschland wohne, weiĂ ich: Regen ist nicht schlimm, wir laufen. Ich habe einfach gekĂ€mpft und es ist unglaublich, wie glĂŒcklich ich binâ, sagte die Leverkusenerin lachend, die wie die Staffel bei Karl-Heinz DĂŒe trainiert.
ĂberglĂŒcklich war auch Alhassane BaldĂ©. Nachdem der 31-JĂ€hrige ĂŒber 1500 Meter schon Bronze geholt hatte, wiederholte der Rennrollstuhlfahrer der SSF Bonn seinen dritten Platz in 11:11,92 Minuten auch ĂŒber 5000 Meter und blieb im Zielsprint drei Hundertstel vor Faisal Alrajehi aus Kuwait. âDas ist sehr ĂŒberraschend, dass diese WM so ausgeht. Ich habe wirklich vieles erwartet, aber das nicht.
Der absolute Hammer, es war ein super GefĂŒhl hier in diesem groĂartigen Stadion so viele Zuschauer mitzuerlebenâ, sagte BaldĂ©, der von Alois Gmeiner trainiert wird und dem die Anstrengung durch den Starkregen anzusehen war. âEs war richtig kalt und hat sich angefĂŒhlt wie Eisflocken, die auf einen herunterprasseln. Das ganze Wasser vom Vorfahrer spritzt einem ins Gesicht. Aber ich habe GlĂŒck gehabt und bin einfach sehr happy.â
Beucher: âTV-Berichterstattung ein Schlag ins Gesicht fĂŒr unser Team und fĂŒr dieses groĂartige Eventâ
Durch den erfolgreichen Abschluss kommt das deutsche Team damit auf 22 Medaillen bei der WM: Acht in Gold, sieben in Silber und sieben in Bronze. Wohlgemerkt mit 21 Athletinnen und Athleten. Das bedeutet Rang acht im Medaillenspiegel. âDas ist eine auĂergewöhnlich gute Bilanz. Wir hatten keine AusfĂ€lle und alle haben ihre Leistung gebrachtâ, lobte Bundestrainer Willi Gernemann.
Besonders freuten ihn einige positive Ăberraschungen von Medaillengewinnern, die bei den Paralympics in Rio noch kein Edelmetall geholt hatten â wie Lindy Ave, Alhassane BaldĂ©, Frederike Koleiski, Juliane Mogge oder LĂ©on SchĂ€fer. Ausruhen dĂŒrfe sich sein Team allerdings nicht. Gernemann: âWir haben auch gesehen, dass Nationen wie Algerien, Tunesien oder die Ukraine im Medaillenspiegel an uns vorbeigezogen sind. Daher mĂŒssen wir weiter hart arbeiten und uns mit Blick Richtung Tokio 2020 gut aufstellen.â
Zufrieden mit dem Abschneiden war auch DBS-PrĂ€sident Friedhelm Julius Beucher. âUnsere Leichtathletinnen und Leichtathleten haben mit ihren tollen Leistungen erneut bewiesen, dass sie zur Weltspitze gehören. Die vielen Titel, Medaillen und auch einige hervorragende vierte, fĂŒnfte, sechste PlĂ€tze bestĂ€tigen das eindrucksvoll, obwohl im Vergleich zur Rio-Mannschaft zahlreiche Sportler nicht mehr dabei waren wegen Verletzungen oder ihres Karriereendes.â
Doch Beucher fĂŒgte hinzu: âWir haben in London sowohl hervorragende Erfolge gefeiert als auch die gröĂte Sportveranstaltung im Para-Sport neben den Paralympics erlebt â nur leider hat es in Deutschland vor allem im TV kaum jemand mitbekommen. Das ist enttĂ€uschend und ein Schlag ins Gesicht sowohl fĂŒr unsere Mannschaft als auch fĂŒr dieses groĂartige Event.â
Im Londoner Olympiastadion kĂ€mpften 1166 Athletinnen und Athleten aus 86 Nationen in 202 Entscheidungen um Medaillen. Ăber 305.000 Tickets sind verkauft worden, hinzu kamen annĂ€hernd 100.000 Schulkinder. Die Zuschauer sorgten wĂ€hrend der zehn Wettkampftage fĂŒr eine herausragende AtmosphĂ€re und trieben die Sportler zu neuen Höchstleistungen: 32 Weltrekorde sind aufgestellt worden, hinzu kamen 102 WM-Rekorde.
Kein Wunder, dass der Wunsch groĂ ist, bei der WM 2019 nach London zurĂŒckzukehren. âHier finden wir genau die Bedingungen und das Flair, was es fĂŒr so eine Veranstaltung brauchtâ, betonte Willi Gernemann. Diesen RĂŒckenwind möchte das deutsche Team mitnehmen, gerade auch mit Blick auf die Heim-Europameisterschaft in Berlin im August 2018. âDenn da wollen wir diesen groĂartigen Athletinnen und Athleten wieder eine wĂŒrdige BĂŒhne bietenâ, sagte Friedhelm Julius Beucher.
Die Medaillen im Ăberblick:
8x Gold: Johannes Floors (200m, 400m, Staffel; 21 / Bissendorf (Niedersachsen) / Bayer Leverkusen); Markus Rehm (Weitsprung, Staffel; 28 / Göppingen / Bayer Leverkusen), Irmgard Bensusan (400m, 26 / Wohnort: Leverkusen / Bayer Leverkusen), Sebastian Dietz (KugelstoĂen; 32 / Worms / BSG Bad Oeynhausen), Niko Kappel (KugelstoĂen; 22 / SchwĂ€bisch-GmĂŒnd / VfL Sindelfingen), Frederike Koleiski (KugelstoĂen; 29 / Wesel / Eintracht Duisburg), LĂ©on SchĂ€fer (Staffel; 20 / Hannover / Bayer Leverkusen), Tom-Sengua Malutedi (Staffel; 20 / Duisburg / Bayer Leverkusen).
7x Silber: Lindy Ave (200m; 19 / Neubrandenburg / HSG Uni Greifswald), Irmgard Bensusan (200m), Johannes Floors (100m), Juliane Mogge (KugelstoĂen; 27 / Kassel / TV Wattenscheid), Katrin MĂŒller-Rottgardt (100m; 35 / Duisburg / TV Wattenscheid), Daniel Scheil (KugelstoĂen; 44 / Freiberg /BVS Weiden), Mathias Schulze (KugelstoĂen; 33 / Magdeburg / SC DHfK Leipzig).
7x Bronze: Lindy Ave (100m), Alhassane BaldĂ© (1500m, 5000m; 31 / Wohnort: Bonn / SSF Bonn), Mathias Mester (Speerwurf; 30 / MĂŒnster / 1. FC Kaiserslautern), LĂ©on SchĂ€fer (Weitsprung), Frank Tinnemeier (KugelstoĂen; 44 / Lemgo / TSV Hillentrup), Martina Willing (Speerwurf; 57 / Pasewalk (MVP) / BPRSV Cottbus).
Pressemitteilung / Deutscher Behindertensportverband – National Paralympic Committee Germany, Kevin MĂŒller
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