Sitzvolleyball-EM: Über Ungarn nach Tokio

Eine EM-Medaille ist das erklĂ€rte Ziel: Die deutschen Sitzvolleyball-Nationalteams möchten bei den Europameisterschaften in Ungarn auf das Siegerpodest und trotz starker Konkurrenz ihr Ticket fĂŒr die Paralympics 2020 in Tokio lösen. Besondere Premiere: Erstmals spielt das Ehepaar Schiffler gemeinsam fĂŒr Deutschland.

Die Reise nach Ungarn wird fĂŒr die Schifflers ein Familienausflug der besonderen Art. Eine gemeinsame Dienstreise im Auftrag des Sports. Bei den Sitzvolleyball-Europameisterschaften in Budapest vom â€Ș15. bis 21. Juli starten erstmals beide im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. FĂŒr die Frauen geht es wie fĂŒr die MĂ€nner bei diesen kontinentalen TitelkĂ€mpfen um viel: Nur bei einem erfolgreichen Abschneiden kann die Qualifikation fĂŒr die Paralympics im kommenden Jahr perfekt gemacht werden.

Und das ist kein leichtes Unterfangen, denn die deutschen Herren mĂŒssten eine Medaille gewinnen und zugleich vor den Teams aus Russland und der Ukraine landen. Oder anders gesagt: idealerweise Europameister werden. Sollte Bosnien den Titel gewinnen, das bereits fĂŒr Tokio qualifiziert ist, wĂŒrde auch Platz zwei reichen. Unrealistisch ist diese Mission aber nicht.

Vielmehr zeigt sich Cheftrainer Michael Merten optimistisch und blickt den kommenden Turnieraufgaben positiv entgegen. „Wir hatten eine gute Vorbereitung, und die Jungs sind gut drauf“, sagt der 50-JĂ€hrige; wenngleich er noch darauf hoffen muss, dass die beiden angeschlagenen Leverkusener StammkrĂ€fte Lukas Schiwy und Mathis Tigler rechtzeitig fit werden. Als Neuling ist Sebastian Vollmer aus Magdeburg dabei.

Die Generalprobe beim Theodor-ZĂŒhlsdorf-Cup ist zumindest gelungen, das letzte Vorbereitungsturnier in Leverkusen gewann die deutsche Nationalmannschaft souverĂ€n. Dazu absolvierten die Deutschen erfolgreiche LĂ€nderspiele gegen die Niederlande und die USA. Merten setzt auf den geĂ€nderten Modus und die „machbare Gruppe“ – ganz im Gegensatz zu den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr, als den spĂ€teren zehntplatzierten Deutschen der aktuelle Paralympics-Sieger Iran und Europameister Russland zugelost wurden und nur zwei Teams nach der Vorrunde weiterkamen.

Diesmal heißen die Gegner Ungarn, Lettland, Litauen, Serbien und Ukraine. Gespielt wird zunĂ€chst in zwei Gruppen, die jeweils vier besten Mannschaften erreichen die K.o.-Runde. Merten stellt klar: „Wir wollen um den Gruppensieg mitspielen und uns damit eine gute Ausgangsposition fĂŒrs Viertelfinale erarbeiten.“ Das Duell mit der Ukraine könnte dabei zum SchlĂŒsselspiel um Platz eins werden. „Sollten wir es bis ins Halbfinale schaffen, ist danach alles möglich. Auch eine Medaille. Wenn man an einer EM teilnimmt, will man doch auch bestmöglich abschneiden.“

Das langfristige Ziel aber heißt Tokio 2020 – acht Mannschaften dĂŒrfen bei den Paralympics starten. „Wir sind Weltranglisten-Siebter, klar wollen wir dazugehören und sehen uns aufgrund unserer LeistungsstĂ€rke auch in der Lage dazu“, erklĂ€rt der Trainer. Umso mehr freut sich der Coach, dass mit Alexander Schiffler ein erfahrener LeistungstrĂ€ger nach einer berufs- und familienbedingten Auszeit nach der EM 2017 ins Nationalteam zurĂŒckgekehrt ist. „Er ist ein Weltklassespieler und eine wichtige VerstĂ€rkung fĂŒr unsere Mannschaft“, betont Merten.

Doch nicht nur der viermalige Paralympics-Teilnehmer schmettert bei der EM, auch Ehefrau Michelle ist dabei und feiert Premiere im deutschen Nationalteam. Die gebĂŒrtige US-Amerikanerin, die mit ihrer Mannschaft 2016 in Rio Gold gewann, hat inzwischen die doppelte StaatsbĂŒrgerschaft angenommen. Die 36-JĂ€hrige, die 2015 Tochter Marlena zur Welt brachte und nach dem Paralympics-Sieg ebenfalls pausierte, gibt damit zugleich ihr internationales Comeback.

„Wir hatten noch nie eine so starke Frauenmannschaft bei einem internationalen Turnier“, erklĂ€rt Cheftrainer Christoph Herzog. „Die derzeit stĂ€rksten Spielerinnen sind alle gesund und dabei.“ Das habe mit der positiven Entwicklung der Sportart in Deutschland und der Zunahme an guten Sitzvolleyballerinnen zu tun. Aber auch mit einigen schönen Nebeneffekten. So kehrten einige Top-Spielerinnen wie Diana Trapp, Daniela Cierpka (beide Magdeburg) oder Ronja Schmölders (Leverkusen) nach einer Auszeit ins Nationalteam zurĂŒck. „Ronja ist unser Dreh- und Angelpunkt auf dem Feld, ein wichtiger Pfeiler fĂŒr unser Spiel“, erklĂ€rt der Coach. Ein GlĂŒcksfall sei ĂŒberdies die EinbĂŒrgerung von Michelle Schiffler. „Sie ist groß, erfahren, macht unser System flexibler. Ein Riesengewinn fĂŒrs Team.“

Herzog blickt mit großer Vorfreude auf die Europameisterschaften. Die Voraussetzungen könnten kaum besser sein. „Im Moment greifen die RĂ€dchen gut ineinander, auch das Team um das Team passt gut zusammen.“ Die Vorbereitung sei „super und mit guten Resultaten“ verlaufen. Mit Bronze bei den Pajulahti Games in Finnland gelang ein guter Start ins EM-Jahr. Neben Welt- und Europameister Russland traten auch die Vize-Europameisterinnen aus der Ukraine und die Finninnen an, die bei der EM 2017 Platz vier belegt hatten. Zuletzt feierte Deutschland Siege gegen die Niederlande und Großbritannien.

In Budapest heißen die Gruppengegner Kroatien, Slowenien und Ungarn. Im schweren Auftaktspiel gegen Slowenien soll möglichst der Grundstein fĂŒr den Gruppensieg gelegt werden. „Das Halbfinale wĂ€re toll, dann hĂ€tten wir unser Spiel um eine Medaille sicher“, sagt Herzog. Je nach Konstellation könnte dieses Duell sogar entscheidend fĂŒr die Paralympics-Qualifikation sein und das Ticket nach Tokio bedeuten.

Denn auch bei den Frauen gilt: Der Europameister ist fĂŒr die Spiele qualifiziert. Sollte das als Weltmeister bereits qualifizierte Russland seinen EM-Titel verteidigen, und davon ist angesichts der Überlegenheit auszugehen, wĂŒrde der Finalgegner und EM-Zweite nachrĂŒcken. Andernfalls bliebe Deutschland eine letzte Chance im MĂ€rz bei einem Qualifikationsturnier. „Ich war selbst zweimal bei den Spielen dabei. Das ist ein wunderbares Erlebnis“, schwĂ€rmt Herzog. „Die MĂ€dels betreiben einen enorm hohen Aufwand und hĂ€tten es sich verdient.“

Quelle: Stefanie Sandmeier

 

Die deutschen Sitzvolleyball-Nationalmannschaften fĂŒr die EM in Ungarn:

Damen: Daniela Cierpka (28, Magdeburg, HSV Medizin Magdeburg), Marlies Dreblow (57, Großenhain, SSC Berlin), Salome Hermann (34, Marbach a.N., Anpfiff Hoffenheim), Mona Krayem (27, MĂŒnchen, SSC Berlin), Mandy KĂŒsel (42, Magdeburg, HSV Medizin Magdeburg), Laura Plantikow (23, Schönebeck, Dresdener SC), Michelle Schiffler (36, Lake Wales (USA), Dresdener SC), Ronja Schmölders (25, DĂŒsseldorf, TSV Bayer 04 Leverkusen), Sonja Scholten (31, Waldbröl, TSV Bayer 04 Leverkusen), Diana Trapp (46, Burg, HSV Medizin Magdeburg).

Herren: Dominik Albrecht (32, Bocholt, TSV Bayer 04 Leverkusen), Fabian Coenen (24, Speyer, Anpfiff Hoffenheim), Stefan HĂ€hnlein (29, Berlin, TSV Bayer 04 Leverkusen), Torben Schiewe (34, Celle, MTV Eintracht Celle), Alexander Schiffler (37, Dresden, Dresdener SC), Lukas Schiwy (24, Grevenbroich, TSV Bayer 04 Leverkusen), Dominik Seitz (36, Starnberg, BSV Ludwigshafen), Florian Singer (21, Dresden, Dresdener SC), Mathis Tigler (23, Dinslaken, TSV Bayer 04 Leverkusen), Francis Tonleu (42, Akonolinga (Kamerun), BSG Emmelshausen), Martin Vogel (47, Sao Paolo, TG NĂŒrtingen), Sebastian Vollmer (33, HSV Medizin Magdeburg).

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