Rostocks Handball-Legende Frank-Michael Wahl ĂĽber seine Karriere und das aktuelle Handball-Geschehen
Das olympische Handball-Turnier 2016 in Rio „ruft“, aber es bleibt noch Zeit, um auf den bislang größten deutschen Hallen-Handball-Triumph aus deutscher Sicht zurückzublicken: Das DDR-Olympia-Gold in Moskau.
Der Olympiasieg von Frank-Michael Wahl und Hans-Georg Jaunich (beide SC Empor Rostock) 1980 war aber das bislang „Aller-Allergrößte“ für den Herren-Handballsport in M-V.
Leider fehlte damals der dritte Rostocker im Bunde, Wolfgang Böhme, der durch politische Machenschaften von SED-Sportfunktionären und Stasi-Mitarbeitern um seine Olympia-Teilnahme betrogen wurde, letztendlich auch um Olympia-Gold.
Wie war das damals aber noch, beim Olympia-Turnier 1980?!
Zwölf Mannschaften nahmen am Herren-Turnier teil, wobei einige Teams „olympische Nachrücker“ waren, denn viele Länder des „West-Blocks“ boykottierte vor 36 Jahren aufgrund der Afghanistan-Invasion der UdSSR 1979 die Spiele in Moskau.
So durfte das westdeutsche Team, als amtierender Weltmeister von 1978, nicht bei Olympia 1980 dabei sein. Auch hier wurden Spieler, wie zum Beispiel Heiner Brand, um ihre Lebensträume gebracht, alles im Namen der „großen Politik“.
Vier Jahre zuvor wurden die Sportlerinnen und Sportler aus Afrika, 1976 in Montreal, Opfer ihrer Administrationen. Acht Jahre später, 1984 in Los Angeles, litten die Sportlerinnen und Sportler vieler Länder des damaligen „Ost-Blocks“ unter dem Beschluss ihrer Regierungen, nicht an den Spielen teilzunehmen. Und eben 1980 in Moskau maßten sich ebenfalls geistig und charakterlich indisponierte Politikerinnen und Politiker an, den Weltsport als ihren „Spielball“ zu begreifen.
Lediglich drei Länder in der olympischen Geschichte fügten sich keinen Boykott-Maßnahmen, selbst wenn diese von der eigenen Regierung befürwortet wurden, nahmen an allen Spielen teil und wurden auch zu allen Spielen eingeladen – das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Republik Frankreich und das Mutterland der Olympischen Spiele, Griechenland…
Im Blickfeld: Das Herren-Olympia-Turnier 1980
Aber zurück zum Olympia-Turnier von 1980. So starteten in Gruppe A die DDR, Ungarn, Spanien, Polen, Dänemark und Kuba. Und in Gruppe B trafen die UdSSR, Rumänien, Jugoslawien, die Schweiz, Algerien und Kuweit aufeinander.
Zwischen dem 20.Juli und 28.Juli dauerte die olympische Vorrunde: Die DDR setzte sich zunächst mit 24:20 gegen Spanien durch, spielte 14:14 gegen Ungarn, gewann dann die restlichen Partien gegen Kuba mit 27:20, Polen mit 22:21 und Dänemark mit 24:20, was Rang eins bedeutete. Die UdSSR setzte sich ihrerseits in Gruppe B durch, womit dem „Traum-Finale“ DDR gegen Gastgeber UdSSR nichts mehr im Wege stand.
Am 30.Juli 1980 war es dann so weit. Vor einer atemberaubenden Zuschauer-Kulisse, die die sowjetische Auswahl förmlich nach vorn peitschte, mußte die DDR mit den Rostockern Hans-Georg Jaunich und Frank-Michael Wahl bestehen – was ihr gelang. In einem an Spannung, Dramatik und Emotionen nicht mehr zu überbietendem Spiel setzte sich die DDR mit 23:22 nach Verlängerung gegen den „Großen Bruder“ durch.
Fast 101000 Zuschauer verfolgten dabei die olympischen Handball-Turniere der Herren und Damen 1980. Der Pole Jerzy Klempel wurde mit 44 Toren bester Werfer vor dem Schweizer Ernst Züllie mit 40 Toren und Vasile Stinga aus Rumänien mit 36 Toren. Frank-Michael Wahl kam auf 33 Tore.
Einer, der eigentlich dazu gehörte und nicht dabei sein durfte, war der erwähnte Wolfgang Böhme, Jahrgang 1949. Er mußte sich das Spiel im TV anschauen und das als langjähriger Kapitän des DDR-Teams… Wenn die Politik in den Sport eingreift, ist noch nie etwas Sinnvolles entstanden – im Gegenteil. Karrieren und Menschen wurden zerstört, der Sport als Mittel zum Zweck degradiert und als „wirtschaftlicher Faktor“ betrachtet.
Torjäger und Olympiasieger Frank-Michael Wahl, von 1973 bis 1990 beim HC Empor Rostock, feiert nun bald, am 24.August 2016, seinen „60.“, ist inzwischen Trainer beim Handball-Verein HSG Fuhlen-Hessisch Oldendorf.
Nachgefragt bei der Rostocker Handball-Legende
Frank-Michael „Potti“ Wahl über das Olympia-Gold 1980, den Olympia-Boykott 1984, seine Spiele 1980, 1988 bzw. 1992, die Tätigkeit als Trainer und die Olympia-Chancen der deutschen Handballspieler in Rio 2016
„Emotionen, Dramatik und Spannung pur…“
Frage: Vor 36 Jahren gab es das legendäre Olympia-Finale zwischen der Sowjetunion und der DDR im Hallen-Handball… Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Turnier, an das damalige Finale?
Frank-Michael Wahl: Ich habe in meiner langen Karriere als Handballspieler ja vieles erlebt, nationale Meisterschaften, Europapokal-Spiele, Klub-Europameisterschaften, internationale Pokal-Turniere oder Weltmeisterschaften, aber das Olympia-Turnier 1980 war ein besonderer herausragender Höhepunkt in meiner sportlichen Karriere.
Dieses Finale am 30.Juli 1980 war an Emotionen, Spannung und Dramatik kaum mehr zu überbieten. Wir spielten damals gegen die seinerzeit als unschlagbar geltende, bärenstarke sowjetische Auswahl und konnten mit dieser in der regulären Spielzeit mithalten, ließen das sowjetische Team nie enteilen, spielten 20:20.
Dann ging es in die Verlängerung und wir mußten an die Schmerzgrenze gehen, um das Team der Sowjetunion in Schacht zu halten. Wir konnten in der Endphase vorlegen und spürten wie die sowjetischen Spieler immer nervöser wurden. Dann die glänzenden Paraden von Wieland Schmidt, unserem Torhüter.
Nach dem 23:22 nach Verlängerung gab es nur noch Jubel. Unseren Erfolg realisierten wir jedoch erst in der Heimat, bei den herzlichen Empfängen allerorten. Dieses Turnier bleibt für mich unvergesslich.
Frage: 1984 boykottierte der Ostblock und damit auch die DDR die Spiele in Los Angeles. Daraufhin organisierten die „real sozialistischen Länder“ Gegenspiele, die „Wettkämpfe der Freundschaft“, mit Konkurrenzen in der UdSSR, DDR, Ungarn, Bulgarien, Kuba, der Mongolei, der CSSR, Polen und Rumänien. In der DDR fand dabei das Herren-Handball-Turnier in Rostock und Magdeburg statt – wieder siegte die DDR im Endspiel gegen die UdSSR (18:17). Welche Bedeutung hat dieser Erfolg für Sie?
Frank-Michael Wahl: Nach Olympia 1980 kreuzten sich die Wege zwischen der DDR und der Sowjetunion bei internationalen Turnieren ja noch einige Male, so auch beim Ostseepokal 1981, als wir erneut gegen die Sowjetunion gewannen. Im Finale gingen die sowjetischen Spieler damals hart zur Sache, aber wir konnten sie letztendlich bezwingen.
Bei den Weltmeisterschaften 1982 wurde hingegen die Sowjetunion Weltmeister.
Unser großes Ziel war natürlich dann auch das Olympia-Turnier 1984 in Los Angeles, dorthin wollten wir, das war unser sportlicher Traum. Leider mehrten sich im Frühjahr 1984 die Anzeichen dafür, dass viele „sozialistische“ Länder eventuell nicht an den Spielen 1984 teilnehmen werden. Dennoch hofften wir.
Als dann die Entscheidung seitens der DDR-Regierung und des Nationalen Olympischen Komitees der DDR verkündet wurde, brachen für die Sportlerinnen und Sportler, auch für uns Handballer, sportliche Welten zusammen. Vier Jahre intensive Vorbereitung sollte „für die Katz“ sein.
Ich erinnere mich noch daran, wie unser Trainer Heinz Strauch aufmunternd zu uns kam, uns Trost und Mut zusprach und uns zum Weitermachen animierte. Offen gesagt, wollte ich damals alles hinschmeißen…
Es ist fĂĽr mich noch immer unbegreiflich, dass die Politiker, wie zuvor 1976 oder 1980, auch Olympia 1984 fĂĽr ihre Machtspiele missbrauchten.
Ja, die so genannten „Gegenspiele“, die dezentral organisierten „Wettkämpfe der Freundschaft“ mit dem Herren-Handball-Turnier in der DDR – das war schon eine attraktive sportliche Herausforderung. Der erneute Erfolg dann über den amtierenden Weltmeister, die Sowjetunion, war ebenfalls klasse, aber ein wirklicher Ersatz für die Olympischen Spiele in Los Angeles waren diese Wettkämpfe nicht. Der Stachel der Enttäuschung für die entgangenen Spiele 1984 saß doch sehr tief.
Frage: Sie waren dann auch bei den Turnieren 1988 in Seoul und 1992 in Barcelona dabei… Wenn Sie alle drei Spiele, 1980, 1988 und 1992 miteinander vergleichen – unabhängig vom sportlichen Erfolg: Wo war es besonders beeindruckend? Was zeichnete die einzelnen Olympischen Spiele aus?
Frank-Michael Wahl: Ich möchte da eigentlich gar nicht zu große Unterschiede machen. Bei allen drei genannten Olympischen Spielen gab es eine herzliche Gastfreundschaft, eine ausgezeichnete Organisation und ein aufrichtiges Miteinander.
Gern erinnere ich mich noch an die Begegnungen 1988 mit den Tennis-Assen Steffi Graf oder Boris Becker. In den olympischen Dörfern herrschte eine freundschaftliche Atmosphäre. Es gab keine „abgehobenen Sport-Stars“, man schätzte und respektierte einander. Das alles allein betrachtet, war und ist noch immer beeindruckend.
Natürlich spielt das jeweilige sportliche Abschneiden auch eine nicht zu unterschätzende Rolle – zumindest subjektiv. Da ist Moskau 1980 natürlich nicht zu toppen. In Seoul 1988 verpassten wir die Medaillenspiele ganz, ganz knapp, spielten aber dennoch ein gutes Turnier.
Barcelona 1992 lief es dann nicht so gut, ich selbst war vorher auch lange verletzt, konnte daher meine optimale Leistung nicht abrufen. Barcelona 1992 war dennoch ein Gewinn. Es waren lockere und sehr herzliche Spiele.
Frage: Sie sind nun selbst Trainer… Welche Aufgabe ist eigentlich schwieriger: Spieler oder Trainer?
Frank-Michael Wahl: Das lässt sich schwer vergleichen, aber als Spieler, Spielführer ist man hautnah dran. Man kann Spiele direkt lenken bzw. leiten und entscheidend, auch in schwierigen Situationen, eingreifen.
Als Trainer am Spielfeldrand ist man mitunter doch eine ziemlich „arme Sau“, insbesondere wenn man mit ansehen muß, dass – trotz optimaler Spielvorbereitung – die Taktik nicht eingehalten wird, das Team glücklos agiert und sich Frustrationen bei den Spielern bemerkbar machen. Die nervliche Belastung als Trainer ist letztendlich höher…
Meine Trainer-Tätigkeit bei der HSG Fuhlen-Hessisch Oldendorf ist noch einmal eine sportliche Erfüllung für mich. Ich hatte zwar Angebote auch für erstklassige Vereine, aber das wollte ich allein meiner Familie nicht zumuten, nachdem ich jahrzehntelang auf Reisen war, die Welt nicht nur sportlich entdeckte und immer aus den Koffern lebte…
Frage: In wenigen Tagen beginnen die 31.Olympischen Spiele der Neuzeit in Rio… Welche Chancen geben Sie dem deutschen Team, als Europameister 2016… Wer sind ansonsten Ihre Favoriten – sowohl im Herren- als auch im Frauen-Handball?
Frank-Michael Wahl: Das deutsche Team zeigte bei den EM Anfang des Jahres einen euphorischen, temporeichen Handball, spielte sich letztendlich in einen Rausch und steigerte sich auch spielerisch von Begegnung zu Begegnung. Da mit diesem jungen deutschen Team niemand rechnete, kam auch der Überraschungseffekt hinzu. Einige Teams unterschätzten die deutsche Mannschaft.
In Rio werden sich die einzelnen Teams jedoch besser auf die deutsche Mannschaft einstellen. Es wird für unsere Jungs ungleich schwieriger als bei der EM. Eine Medaille traue ich der jungen Truppe durchaus zu. Warum nicht auch Gold?! Aber es wird „hammerhart“. Sehr stark werden auch die Franzosen, die Dänen und die Kroaten sein. Auch das brasilianische Team sollte man nicht unterschätzen. Nicht zuletzt Vize-Weltmeister Katar mit seiner „Welt-Auswahl“ könnte in den Medaillenkampf eingreifen.
Bei den Frauen rechne ich auch mit Brasilien, das ja 2013 den Weltmeistertitel erkämpfte. Dazu kommen noch die Norwegerinnen als Weltmeister 2015, die Polinnen, die Niederländerinnen und die Russinnen.
Es werden spannende Turniere, bei denen die Tagesform spielentscheidend sein wird, denn auch im Handballsport, ob bei den Frauen oder bei den Männern, ist die Weltspitze eng zusammengerückt.
Vielen Dank, weiterhin bestes Engagement für den Handballsport und alles erdenklich Gute- persönlich, beruflich und sportlich!
Last but not least: Beim ersten olympischen Turnier im Handball, allerdings im Feld-Handball, 1936 in Berlin, wurde die deutsche Auswahl Erster vor Ă–sterreich, der Schweiz und Ungarn.
Marko Michels
Foto (Michels): M-V ist ein traditionsreiches Handball-Land. Impression von einem Nachwuchs-Länderspiel Deutschland gegen Dänemark in Wismar.