Vor 82 Jahren – die winterlichen Spiele von 1936/Wurden Lehren gezogen?!
Es sollte die OuvertĂŒre zu den Sommerspielen werden und wurde letztendlich eine gelungene (politische) Propaganda-Veranstaltung mit sportlichem Zusatz-Programm. Es sollte die Sportlerinnen bzw. Sportler im Mittelpunkt stehen und am Ende setzten politische und funktionĂ€rstechnische Protagonisten die entscheidenden Akzente. Es sollte weiterhin ein faires Miteinander werden und entpuppte sich – im Nachgang – als sportliches Schmierentheater.
Vor 82 Jahren – Winter-Olympia in GAP
Die vierten Olympischen Winterspiele, die vor genau 82 Jahren in Garmisch-Partenkirchen stattfanden, bleiben unvergesslich. Weniger aufgrund der sportlichen Leistungen, groĂartige gab es auch dort, aber vor allem als Lehrbeispiel dafĂŒr, was passiert, wenn Politik, Wirtschaft und „BerufsfunktionĂ€rstum“ sich der Spiele bemĂ€chtigen.
1936 – Was war da noch?!
Ein „FĂŒhrer“ erfuhr vom emotionalisierten Publikum eine begeisterte Huldigung. Der gröĂte Sportverband der Welt, das IOC, lieĂ sich, naiv oder bewuĂt – beides ist gleich schlimm, vor einen „PR-Karren“ spannen.
Die Wirtschaft erlangte lukrative Bau-AuftrĂ€ge. Menschen muĂten BaustĂ€tten weichen. Die eigenstĂ€ndigen MĂ€rkte Garmisch und Partenkirchen wurden auf Druck und unter Zwang der Staatspartei NSDAP zusammengelegt, um eine entsprechende OrtsgröĂe fĂŒr einen olympischen Austragungsort zu schaffen.
„Minderheiten“ und UnerwĂŒnschte, so weit nicht schon vorher aus dem öffentlichen Leben gedrĂ€ngt, wurden wĂ€hrend der Spiele lediglich geduldet. Sportlerinnen und Sportler lieĂen Distanz zu Politik und Wirtschaft vermissen. Ein Team (die Schweiz) muĂte das Quartier gar rĂ€umen, weil eine Geheimpolizei (Gestapo) dieses fĂŒr sich beanspruchte. Und ein gewisser Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg war seinerzeit Mitglied des IOC und des Organisationskomitees von GAP – also „Mecklenburg“ war am dortigen Geschehen intensiv beteiligt…
Es gab auch guten Sport…
Ja, es gab dennoch ausgezeichnete Leistungen im Sport, prĂ€sentiert in hervorragenden SportstĂ€tten und bei viel Publikumszuspruch. Fast 700 Athletinnen bzw. Athleten aus 28 LĂ€ndern wetteiferten um die Medaillen in 17 Wettbewerben. Der Norweger Birger Ruud gewann das Spezialspringen. Den 50 Kilometer-Skilanglauf entschied der Schwede Elis Wiklund fĂŒr sich. In der alpinen Kombination siegten Christl Cranz bei den Frauen und Franz PfnĂŒr bei den Herren. Dreimal Gold, einmal Silber holte der Norweger Ivan Ballangrud im Eisschnelllaufen.
Den einzigen Erfolg fĂŒr ein nichteuropĂ€isches Land erlangte der USA-Zweier-Bob mit Ivan Brown bzw. Alan Washbond. Das Gold im Bob-Vierer holte die Mannschaft des Schweizer Bob-Piloten Pierre Musy. Im Eishockey wurde sensationell GroĂbritannien, freilich mit einigen eingebĂŒrgerten Kanadiern, Olympiasieger vor den „richtigen“ Kanadiern. Im Eiskunstlaufen erkĂ€mpfte die Norwegerin Sonja Henie ihren dritten Olympiasieg. Maxi Herber bzw. Ernst Baier setzten sich im Paarlaufen durch. Der Ăsterreicher Karl SchĂ€fer triumphierte bei den Herren.
In den olympischen Demonstrationssportarten von 1936 gingen die Siege im EisstockschieĂen (drei Wettbewerbe) sĂ€mtlich an Ăsterreich, im MilitĂ€rpatrouillenlauf war Italien am besten.
Der Preis war zu hoch
Aber um welchen Preis wurden diese Erfolge erzielt?! Um den Preis, dass Olympia endgĂŒltig seine Unschuld, seine Aura verlor. Die folgenden Sommerspiele in Berlin 1936 setzten der politischen Propaganda-Show unter den fĂŒnf olympischen Ringen noch eine „unsĂ€gliche Krone“ dazu auf. Dass dort auch Medaillengewinne fĂŒr Mecklenburg zu verzeichnen waren – unter anderem zweimal Gold durch den Military-Reitsportler Ludwig Stubbendorff (aus Turloff/Dabel) auf „Nurmi“ in der Einzel- sowie Mannschaftswertung, Speerwurf-Gold bzw. KugelstoĂ-Bronze durch den Greifswalder Studenten Gerhard Stöck in der Leichtathletik und einmal Silber durch den Rostocker Hockeyspieler Detlef Okrent mit der deutschen Mannschaft – sind da nur Rand-Notizen.
Wurden aus 1936 Lehren gezogen?
Hat man, haben die Politik, die Wirtschaft und die SportverbĂ€nde aus den Spielen von 1936 gelernt?! Nein, das haben sie entgegen aller Beteuerungen nicht. Es gab einige Boykottspiele, so 1976 in Montreal, 1980 in Moskau oder 1984 in Los Angeles. Olympia stand im Zeichen des Terrors, so 1972 in MĂŒnchen oder 1996 in Atlanta. Es gab ungehemmte politische EinfluĂnahmen, insbesondere 2004 in Athen, 2008 in Peking oder 2016 in Rio. Es wurden wintersportliche Retorten-StĂ€dte erschaffen, so 1960 in Squaw Valley, 1992 in Albertville oder 2014 in Sotschi.
Die Spiele wurden immer kostspieliger, gigantischer und profitorientierter. „Polit-GröĂen“, GetrĂ€nkehersteller, TV-Stationen und „Hauptsponsoren“ diktieren de facto schon, welche Sportarten ins Programm gehören, welche Sportarten gestrichen werden könnten und die Wettkampfzeiten – damit „passende Werbe-Blöcke“ entsprechend platziert werden. Der olympische Sport dient nur als „Petersilie“, schmĂŒckendes Beiwerk, ja als attraktive „Werbe-Unterbrechung“.
Wie war das mit der olympischen Grund-Idee?!
„Lassen Sie uns Ruderer, LĂ€ufer, Fechter ins Ausland schicken. Das ist das Freihandelssystem der Zukunft! Und an dem Tag, an dem es in die Sitten des alten Europa eingedrungen sein wird, wird der Sache des Friedens eine neue und mĂ€chtige StĂŒtze erwachsen sein!“, meinte einst der BegrĂŒnder der Olympischen Spiele der Neuzeit, Baron Pierre de Coubertin.
Wie ist es jetzt, heute, aktuell um den Frieden bestellt?! Zurzeit toben mehr als 40 Kriege bzw. kriegerische Auseinandersetzungen. 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht – so viele, wie seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr. Noch immer verhungern jĂ€hrlich Millionen, darunter viele Kinder. 62 der vermeintlich materiell Reichsten gehört so viel, wie dem gesamten Ă€rmeren Teil der Menschheit, also dreieinhalb Milliarden Menschen. Gelangt man zu diesem „Reichtum“ im SchweiĂe seines Angesichts?!
Kann, darf man dann – bei dieser geduldeten Selbstzerstörung – noch Olympia feiern? … Ja, wenn man zu den Wurzeln des olympischen Idealismus zurĂŒckkehrt, wie Lillehammer 1994 oder Vancouver 2010 zeigten. Wird Olympia aber so zelebriert, wie 1996 in Atlanta, 2006 in Turin, 2008 in Peking, 2014 in Sotschi oder 2016 in Rio, sollte man die „ReiĂleine“ ziehen. Aber vielleicht siegt ja auch einmal die olympische Vernunft?
Marko Michels