Eric Schneidenbach, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber, zur Entwicklung des Gewichthebens
Das Jahr 2018 ist für die Gewichtheberinnen und Gewichtheber auch schon wieder fast drei Monate alt. In diesem Jahr sind dabei die EM in Bukarest vom 25. März bis 1. April und die WM in Ashgabat (Turkmenistan) vom 1. bis 10. November.
Interview
Eric Schneidenbach über die EM 2018, die zurückliegende WM in Anaheim, die Entwicklung des Gewichthebens in Deutschland, den Zuspruch der jungen Sport-Talente zum Gewichtheben und die olympischen Ziele des BVDG 2020
„Wir sind auf einem guten Weg…“
Frage: Die EM 2018 im Gewichtheben wurde gerade beendet. Wie lautet Ihr Resümee?
Eric Schneidenbach: Der Bundesverband Deutscher Gewichtheber war ja mit einem Quartett vor Ort – mit Nico Müller (bis 77 Kilogramm), Matthias Hofmann (bis 105 Kilogramm), Robert Joachim (bis 69 Kilogramm) bzw. Tom Schwarzbach (bis 85 Kilogramm). Insgesamt gab es dabei viermal Edelmetall für Schwarz-Rot-Gold.
Ansonsten waren viele Länder am europameisterlichen Medaillensegen 2018 beteiligt. Richtig war auch, dass der internationale Verband weiter durchgriff und die Sperrung der Landesverbände von Russland, Armenien, der Türkei, Moldawiens, der Ukraine, Weißrusslands und Aserbaidschans aufrecht erhielt. Bei deren Heberinnen und Heber wurden in den letzten Jahren immer wieder die Einnahme unerlaubter leistungsfördernder Substanzen nachgewiesen.
Frage: Die EM im Gewichtheben in Bukarest wurden Anfang April beendet. Wie beurteilen Sie die dortigen Resultate aus internationaler und nationaler Sicht?
Eric Schneidenbach: Mit Blickrichtung auf die deutschen Resultate ist die Ausbeute schon sehr erfreulich. So konnten im Stoßen, Reißen und im olympischen Zweikampf seitens der deutschen Athleten zweimal Gold, einmal Silber, einmal Bronze erreicht werden. Herausragend die Goldmedaillen von Nico Müller im Zweikampf bzw. im Stoßen. Und ganz toll zudem die Silberne im Zweikampf und die Bronzene im Stoßen von Robert Joachim.
Sehr gut präsentierten sich in Bukarest auch Tom Schwarzbach und Matthäus Hofmann mit ihren fünften Rängen im Zweikampf ihrer Gewichtsklassen. Besondere Anerkennung gebührt in diesem Zusammenhang den beiden Heimtrainern der Medaillengewinner, einerseits Oliver Caruso, der Olympia-Dritte 1996 im Gewichtheben bzw. ehemalige Bundestrainer sowie Trainer von Nico Müller, andererseits Jürgen Glor, Olympiastützpunkt-Trainer Berlin bzw. Trainer von Robert Joachim.
Ansonsten fehlten ja sieben Nationen-Verbände bei den EM in Bukarest aufgrund von Doping-Sperren. Dennoch war die Resonanz bei diesem EM sehr gut. 208 Gewichtheberinnen und Gewichtheber aus 30 Ländern waren aktiv und 18 Nationen erkämpften letztendlich Medaillen, wobei im Zweikampf Rumänien mit neunmal Edelmetall (darunter dreimal Gold) die meisten Medaillen erkämpfte. Georgien kam im Zweikampf sogar auf vier EM-Goldmedaillen.
Frage: Noch ein letzter Blick auch auf die WM 2017… Die WM im Gewichtheben in Anaheim 2017 liegen bereits vier Monate zurück. Wie bewerten Sie die dortigen Ergebnisse aus internationaler und deutscher Sicht?
Eric Schneidenbach: Auch bei den Welt-Titelkämpfen im letzten Jahr waren zahlreiche Nationen bei der Medaillenvergabe beteiligt. Edelmetall (Reißen, Stoßen bzw. Zweikampf) ging an Athletinnen bzw. Athleten aus 31 Ländern, wobei 15 Staaten eine oder mehrere Goldmedaillen schafften.
Die Gewichtheberinnen und Gewichtheber aus Russland, Armenien, der Türkei, Moldawien, der Ukraine, Weissrussland, Aserbaidschan, aus China und aus Kasachstan waren ja schon 2017 gesperrt, weil diese massive Doping-Probleme haben.
Bei den Herren setzten vor allem die Athleten aus dem Iran, Südkorea, Usbekistan und Spanien die sportlichen Akzente. Bei den Frauen überzeugten insbesondere die Athletinnen aus Thailand, den USA, Kolumbien und Ekuador. Unseren acht deutschen Startern gelang bei den WM 2017 leider kein Achtungserfolg. Trotz der Sperren von neun Ländern war der Zuspruch zu den WM 2017 beträchtlich. Es starteten 315 Athletinnen bzw. Athleten aus 63 Nationen. Gewichtheben ist also nach wie vor eine attraktive Sportart mit großer Tradition.
Frage: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Gewichthebens momentan? Wie beurteilen Sie ansonsten den Stellenwert des Gewichthebens in Deutschland in den letzten Jahren? Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?
Eric Schneidenbach: In Deutschland sind wir auf einem guten Weg. Durch die CrossFit-Bewegung aus Amerika, die ebenfalls nach Europa kam, profitiert auch das Gewichtheben. Diese Multifunktionssportart im Kraftbereich hat einen positiven Einfluß auf das Gewichtheben.
So meldeten sich beim Bundesverband der Deutschen Gewichtheber in den letzten Jahren sogar 20 neue Vereine an, so dass unser Fachverband jetzt 215 Vereine mit mehr als 10000 Aktiven zählt. Hochburgen des Gewichthebens sind dabei Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz. In Norddeutschland bewegt sich vor allem etwas in Hamburg und in Bremen.
Aber insgesamt sind eher die Süddeutschen mit dem Gewichtheben gegenwärtig eng verbunden. Und ganz wichtig: Immer mehr junge Sporttalente entscheiden sich auch für das Gewichtheben.
Letzte Frage: Mit Blickrichtung Olympia 2020 in Tokyo… Welche Ambitionen hat der Bundesverband Deutscher Gewichtheber bis dahin?
Eric Schneidenbach: Zurzeit werden erst die Qualifikationsmodalitäten für die olympischen Wettkämpfe durch den internationalen Verband festgelegt. Diese bleiben abzuwarten, um genaue Aussagen über die Quantität eines deutschen Aufgebots für Tokyo 2020 treffen zu können. Auf jeden Fall ist eine Medaille bei den olympischen Konkurrenzen im Gewichtheben in zwei Jahren das Ziel.
Vielen Dank und weiterhin bestes Engagement für das Gewichtheben in Deutschland!
Marko Michels
Sportliche Kalenderblätter zum Gewichtheben
Der bekannte Marco Spanehl über seine aktive Zeit und aktuelle Wettkämpfe / Beitrag vom April 2015 – Erstveröffentlichung im Stadt-Online-Magazin SCHWERIN-NEWS (schwerin-news.de)
Kürzlich zu Ende gegangen sind die diesjährigen Europameisterschaften im Gewichtheben in Tbilissi, die eine wichtige Standortbestimmung für die WM im Herbst in Houston bzw. die kommenden Olympischen Spiele 2016 in Rio waren. Zwar waren Mecklenburgerinnen und Mecklenburger leider nicht aktiv dabei, dennoch hat das Gewichtheben auch hierzulande eine sportliche Tradition. So erkämpften Schwerathleten aus Stralsund, Barth, Rostock oder Schwerin in der Vergangenheit so manche Medaille bei nationalen und internationalen Wettkämpfen. Beispiel: der für den Berliner TSC antretende, gebürtige Schweriner Marco Spanehl, Jahrgang 1967.
Spanehl wurde, im Zweikampf, 1989 EM-Vierter, 1990 EM-Fünfter, 1990 WM-Sechster und 1994 EM-Sechster. 1992 erkämpfte er sich EM-Bronze im Stoßen und nahm im selben Jahr an den Olympischen Spielen in Barcelona teil. Dort wurde er Dreizehnter im Federgewicht, in dem seinerzeit Naim Süleymanoglu (Türkei) gewann. In der spanischen Millionenstadt bestimmten damals insbesondere die Heber aus der GUS das sportliche Niveau (5 x Gold, 4 x Silber). Die deutschen Gewichtheber erkämpften indes einmal Gold (Ronny Weller in der Gewichtsklasse bis 110 Kilogramm) sowie zweimal Bronze (Andreas Behm aus Stralsund in der Gewichtsklasse bis 67,5 Kilogramm und Manfred Nerlinger in der Gewichtsklasse über 110 Kilogramm).
Heute ist Marco Spanehl für den Landessportbund Berlin tätig. Wir haben den gebürtigen Schweriner gefragt: zur kürzlichen EM, zur kommenden WM, und zum allgemeinen Stellenwert des Gewichthebens.
„Olympia 1992 war das sportlich Größte für mich…“
Frage: Die EM ist vorbei. Wie lautet Ihr Resümee aus deutschem und internationalem Blickwinkel?
Marco Spanehl: Der deutsche Gewichtheber-Verband entsandte ja nur ein Mini-Team von zwei Gewichtheberinnen, Julia Schwarzbach sowie Nina Schroth, und einem Gewichtheber, Almir Velagic, nach Tbilissi. Für Bundestrainer Oliver Caruso und natürlich die Athletinnen und Athleten selbst stehen ganz klar die Weltmeisterschaften im November in Houston im Vordergrund, weil dort die Plätze für die Olympischen Spiele 2016 vergeben werden.
Für Julia (Gewichtsklasse bis 53 Kilogramm) lief es ja mit Silber im Zweikampf ausgezeichnet. Aber auch Nina (Gewichtsklasse bis 75 Kilogramm) und Almir (Gewichtsklasse über 105 Kilogramm) können sehr zufrieden sein. Nina präsentierte sich in guter Form, stellte Bestleistungen auf und hat berechtigte Ambitionen, sich international weiter zu profilieren. Für sie sind derartige Meisterschaften dazu hilfreiche Aufbau-Wettkämpfe. Almir, wenn er auch zunächst etwas enttäuscht war, kann mit seinen EM-Resultaten ebenfalls sehr zufrieden sein. Platz vier im Zweikampf ist ein klasse Resultat, dazu eine Bestleistung im Reißen!
Ansonsten wurde das Niveau von den Heberinnen und Hebern aus den Ländern der früheren UdSSR maßgeblich bestimmt, wenngleich die Athletinnen bzw. Athleten aus Westeuropa (Spanien, Frankreich, Italien) einige hervorragende Platzierungen erreichten. Mit Blickrichtung WM wird es bestimmt nicht weniger anspruchsvoll – im Gegenteil, denn in den leichteren Gewichtsklassen kommt die Konkurrenz aus Asien (Nordkorea, Südkorea, China, Japan) und in den höheren Gewichtsklassen ebenfalls aus Asien (Iran) und eventuell Nordamerika hinzu.
Frage: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Gewichthebens in Deutschland?
Marco Spanehl: Hierzulande konzentrieren wir uns vor allem auf die höheren Gewichtsklassen. Das ist schon notwendig – angesichts der starken Konkurrenz aus Asien. Insbesondere in den unteren Gewichtsklassen ist die Konkurrenz aus China oder Korea nahezu übermächtig. Da ist die Lage in den höheren Gewichtsklassen schon etwas besser, was nicht heißt, dass es dort „leicht“ ist, Edelmetall zu erkämpfen…
Ich, als früherer Federgewichtler, bedauere natürlich, dass die unteren Gewichtsklassen in Deutschland etwas „außen vor“ bleiben, aber letztendlich kann ich diese Spezialisierung auch nachvollziehen.
Frage: Was sagen Sie zum Stellenwert des Gewichthebens in Deutschland und zur Problematik der Talente-Förderung?
Marco Spanehl: Dank der Live-Übertragungen der EM- und WM-Wettkämpfe beim Sportkanal „Eurosport“ bleibt das Gewichtheben präsent und hat in Deutschland viele Fans und Interessierte. Die Athletinnen und Athleten haben so die Möglichkeit, ihre Leistungsfähigkeit einem großen Publikum zu zeigen. Das spornt beim Training zusätzlich an, denn nichts ist schlimmer, als Medien-Abstinenz…
Hilfreich ist zudem, dass im Rahmen der „Bewegung des funktionalen Training“ das Gewichtheben ebenfalls ein wichtiger Bestandteil ist. Die Generation zwischen 25 Jahren und 40 Jahren hat sich dieser Bewegung verschrieben und übt die Teilbereiche des Gewichthebens mit Begeisterung aus. Wer im etwas „reiferen“ Alter ein positives Verhältnis zum Gewichtheben entwickelt, empfiehlt diese Sportart auch seinem Nachwuchs, was natürlich ganz notwendig bei der Nachwuchs-Gewinnung ist.
Sicher, Gewichtheben war und ist eine Randsportart. Das birgt aber auch Chancen, weil die Gewichtheberinnen und Gewichtheber eine ziemlich bodenständige Truppe sind und zudem nahe am Publikum!
Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren olympischen Wettkampf?
Marco Spanehl: Barcelona 1992 war das sportlich Größte in meiner Laufbahn. Es waren einzigartige Erlebnisse vor Ort für mich… Das harte Training in den vielen Jahren hatte sich dank der olympischen Teilnahme für mich gelohnt. Ich war damit auch sportlich so richtig angekommen. Olympia – das ist ganz einfach etwas Einmaliges!
Frage: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Geburtsstadt Schwerin bzw. zu M-V allgemein?
Marco Spanehl: Na klar! Meine Eltern wohnen in Schwerin und ich bin immer wieder gern und regelmäßig in M-V. Ich angele leidenschaftlich gern und der „Dümmer See“, 20 Kilometer von Schwerin, ist meine „zweite Heimat“. Ansonsten arbeite ich hauptberuflich für den Landessportbund Berlin.
Vielen Dank!
M.M.
Andreas Behm im Fokus / Statement aus dem Jahr 2010 zu seinem olympischen Wettkampf 1992 – Erstveröffentlichung im damaligen Sport-Online-Magazin für M-V „rostock-sport.de“
Ein äußerst erfolgreicher Gewichtheber aus M-V ist auch der gebürtige Stralsunder Andreas Behm, Jahrgang 1962, BSG Motor Stralsund/TSV 1860 Stralsund, der vor mehr als einem Vierteljahrhundert (1992) die vorerst letzte Olympiamedaille für einen MV-Gewichtheber erkämpfte und in seiner aktiven Laufbahn insgesamt 38 Medaillen bei internationalen Wettkämpfen schaffte.
„Einfach nur unbeschreiblich…“
Frage: Wie war damals, 1992, der olympische Wettkampf? Und: Im Rückblick …. Schmerzt die verpasste Olympia-Chance 1984 in Los Angeles – bedingt durch die ,,große bornierte Politik“ – noch immer?
Andreas Behm: Die Olympischen Spiele 1992 waren für mich ein riesiges Erlebnis und mit dem Gewinn der Bronzemedaille dazu erfolgreich. Nach dem Boykott der Olympischen Spiele 1984 durch die DDR und den verletzten Ausfall zu Olympia 1988 war an eine Teilnahme bei Olympischen Spielen schon kaum noch zu denken. Gerade nach 1988 schmerzte nicht nur die Verletzung, sondern zusätzlich noch einmal der Ausfall von 1984. Ich glaube, dass sich bei allen Athleten nicht nur Ärger und Wut, sondern auch Enttäuschung über die Politik breit gemacht hat.
Nach meiner Operation 1988 und der anschließenden Wende-Zeit war die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1992 wirklich zweifelhaft. Das es dann nach so vielen EM und WM trotzdem noch einmal bei Olympischen Spielen geklappt hat – und das sogar mit einer Medaille – war einfach nur unbeschreiblich.
Anmerkung: Beim olympischen Wettkampf im Leichtgewicht 1992 wurde Andreas Behm hinter Israjel Militosjan (GUS/Armenien) und Joto Jotow (Bulgarien) Dritter. Vier Jahre später, bei Olympia 1996, erreichte Andreas Behm im Leichtgewicht Rang zehn. Der Olympiasieg im Leichtgewicht 1996 ging an den Chinesen Zhan Xugang.
Weitere Olympiamedaillen im Gewichtheben für die BSG Motor Stralsund/den TSV 1860 Stralsund holten 1976 Helmut Losch (Bronze, Superschwergewicht) und 1980 Jürgen Heuser (Silber, Superschwergewicht).
M.M.