Im Gespräch mit DLV-Präsident Jürgen Kessing
In ungewohnte Gefilde mussten die Leichtathletinnen und Leichtathletinnen aus aller Welt, unter ihnen die Neubrandenburger Diskuswerferin Claudine Vita und der in Rostock trainierende Speerwerfer Julian Weber, Ende September/Anfang Oktober. Der Wüstenstaat Katar war Gastgeber der 17. Welttitelkämpfe, an denen rund 2.000 Sportlerinnen und Sportler aus 209 Nationen teilnahmen.
Interview
Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, über die WM in Doha, die Kritik an den Welttitelkämpfen, die Bilanz aus deutscher Sicht, die Starter aus M-V und die Ziele für Tokyo 2020
„Es gibt kein Plansoll für Tokyo…“
Zehn Tage Leichtathletik-WM in Katar. Wie lautet Ihr persönliches Resümee?
Jürgen Kessing: Die Weltmeisterschaften in Doha sind sehr stark kritisiert worden. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob man bei den extremen klimatischen Bedingungen einen Marathon oder 50 Kilometer Gehen durchführt. Wenn man allerdings nach vorne blickt, wird man feststellen, dass die Olympischen Spiele in Tokio mit Sicherheit vom Klima her nicht einfacher werden. Am Anfang hat die WM unter dem Zuschauermangel gelitten, am Ende war auch die Stimmung im Stadion hervorragend. Insgesamt war die Organisation sehr gut, die Menschen haben auf jegliche Form von Kritik sehr gut reagiert und die TV-Quoten waren zudem gut.
War manche harsche Kritik von Sportlern oder Journalisten an den WM also überzogen?
Jürgen Kessing: Ich denke, man muss es sehr differenziert betrachten, wie ich es ja schon erwähnte. Nicht alles war schlecht und ich glaube, dass es die Menschen vor Ort oft anders erlebt haben als zu Hause in Deutschland, wo man zu Beginn Bilder von erschöpften Athletinnen bzw. Athleten gesehen hat und dann ohne Ende kritisiert wurde.
Das deutsche Team gewann sechs Medaillen, darunter zweimal Gold. Eine gute Bilanz? Es gab ja schon bessere Zeiten…
Jürgen Kessing: Die leistungssportliche Einordnung im Detail übernehmen bei uns der Generaldirektor und der Chef-Bundestrainer. Ich stimme aber mit Ihnen überein, dass es auf alle Fälle ein akzeptables Ergebnis war, bei dem dieses Mal der Laufbereich mit den Medaillen von Gesa Krause und Konstanze Klosterhalfen gezeigt hat, dass es aufwärts geht. Im Übrigen nehmen inzwischen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen über 200 Nationen teil, wovon bei den WM 2019 über 40 Nationen auch Medaillen gewannen. Die Konkurrenz-Situation gegenüber früher ist deutlich schwieriger geworden.
[box type=“bio“] Insgesamt wurden in Doha 49 Goldmedaillen vergeben. In diesen Entscheidungen platzierten sich zusammen Athletinnen und Athleten aus 68 Nationen unter die besten Acht. Sportlern aus 43 Ländern schafften letztendlich Edelmetall und 20 Nationen holten eine oder mehrere Goldmedaillen.
Bei den Olympischen Spielen in Tokyo (31. Juli bis 9. August 2020) werden übrigens 48 Goldmedaillen, eine weniger als in Katar, vergeben[/box]
Wie bewerten Sie ansonsten das internationale Leistungsniveau ein Jahr vor Olympia 2020?
Jürgen Kessing: Wenn man sich die internationale Ranking-Liste der IAAF ansieht, dann wurde die WM sehr hoch eingestuft, da es teilweise außerordentlich gute Leistungen gegeben hat. Nehmen Sie nur zum Beispiel das Kugelstoßen der Männer. Der Wettbewerb war nicht nur überaus spannend, sondern auch in Leistungsdichte und Leistungshöhe außergewöhnlich.
In Katar zwar mit Claudine Vita nur eine Leichtathletin eines MV-Vereines: Wie beurteilen Sie die Entwicklung im deutschen Nordosten?
Jürgen Kessing: Es gab in Katar als WM-Teilnehmerin nicht nur Claudine Vita, die aus Mecklenburg-Vorpommern kommt, sondern auch Julian Weber, der bei Bundestrainer Mark Frank in Rostock trainiert. Für Claudine gingen zwar nicht alle Wünsche in Erfüllung, aber Rang neun ist respektabel. Und Julian Weber schaffte sogar einen ausgezeichneten sechsten Rang.
Der Schwerpunkt in Mecklenburg-Vorpommern liegt zweifellos auf der Nachwuchsarbeit an den Stützpunkten Rostock, Schwerin sowie Neubrandenburg und ist mithin insgesamt sehr erfreulich bzw. erfolgreich.
Gibt es für Tokio eigentlich ein „Plansoll“, das erfüllt werden muss?
Jürgen Kessing: Es gibt bei uns kein Plansoll für Tokio. Wenn jeder seine Leistung auf den Punkt genau bringt, dann werden wir bei den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 gut abschneiden. Wir setzen unsere Athleten nicht unter Medaillendruck.
Vielen Dank und weiterhin bestes Engagement für die Leichtathletik!
M.Michels