XXI.Olympischen Winterspiele feierlich beendet

Interview mit der Olympiasiegerin Claudia Nystad

Die XXI.Olympischen Winterspiele gingen in der Nacht (MEZ) mit einer beeindruckenden Schlussfeier im BC Place Stadium in Vancouver zu Ende. Magdalena Neuner, mit zweimal Gold und einmal Silber die erfolgreichste Athletin vom „Team Germany“, trug die deutsche Fahne.

Doch: Was bleibt von den olympischen Tagen in Vancouver und in Whistler ?!

Die Olympischen Winterspiele 2010 – das waren die bislang aufrichtigsten, authentischsten und menschlichsten Winterspiele aller Zeiten. Dabei begannen sie extrem traurig 
 Der tödliche Trainingsunfall des georgischen Rennrodlers Nodar Kumaritaschwili ĂŒberschattete die Eröffnungsfeier, warf einen traurigen Schatten auf die Spiele.

Wenn Spiele so beginnen, stehen sie meistens nicht „unter gĂŒnstigen Sternen“ 
 Aber sollte man Spielen, die traurig, nachdenklich beginnen, nicht eine Chance geben ?!

Ja, die olympischen Ideale mußten und wurden in Whistler und in Vancouver mit Leben erfĂŒllt. Es gab große Momente, sehr, sehr traurige, große Sieger und noch grĂ¶ĂŸere Verlierer.

Die grĂ¶ĂŸten Gewinner der XXI.Olympischen Winterspiele waren jedoch die Sportlerinnen und Sportler selbst, das großartige kanadische Publikum und die Sportfans in aller Welt. 17 Tage wurde eindrucksvoller Sport geboten – facettenreich, exotisch, leistungsstark, spannend und emotionsreich, verbunden mit vielen individuellen Schicksalen, Dramen, Tragödien und GlĂŒcksmomenten.

Gewonnen hat auch das deutsche Team, das so ungemein sympathisch, natĂŒrlich und erfolgreich auftrat. Anders als viele Politiker vor Ort, deren gekĂŒnsteltes LĂ€cheln, deren olympische SelbstgefĂ€lligkeit und deren Sucht nach den goldenen Fotos mit goldigen Olympionikinnen fast schon ZĂŒge einer realen olympischen Satire annahm.

Sportliche Heldinnen und Helden wurden geboren. Maria Riesch ist so eine. Eben so wie Magdalena Neuner. Claudia Nystad. Evi Sachenbacher-Stehle, die inzwischen erfolgreichste deutsche SkilanglĂ€uferin aller Zeiten. Viktoria Rebensburg. Die Rodel-Damen. Die Skeleton-MĂ€del. Die Team-EisschnelllĂ€uferinnen. Auch Alexandra Grauvogl gehört zu den sportlichen Heldinnen in Deutschland. Alexandra Grauvogel ?! Ja, sie war nicht dabei, die so aussichtsreiche Medaillen-Aspirantin im Ski-Cross. Wegen eines Kreuzbandrisses, der die Teilnahme so unglĂŒcklich verhinderte. Alexandra steht aber fĂŒr diejenigen, die auf tragische Weise Olympia verpassten, obwohl sie das Leistungsvermögen gehabt hĂ€tten, zumindest dabei zu sein. Dann in Sotschi 2014 !

Große Momente hatten nicht nur die deutschen Olympionikinnen und Olympioniken 
 Lindsey Vonn war eine der großen Siegerinnen, auch wenn sich die Goldmedaillen-Flut fĂŒr sie nicht einstellte. Aber erste amerikanische Olympiasiegerin in der Abfahrt – das hat etwas, zumal das US-Girl mit Schienbein-Verletzung und weiteren gesundheitlichen Handicaps startete.

Doch was ist eine Schienbein-Verletzung gegen das, was der Slowenin Petra Majdic im Einzel-Sprint des nordischen Skisportes passierte 
 Beim AufwĂ€rmen hatte sie einen Unfall, brach sich vier Rippen, zog sich einen Riss im Lungenfell zu, startete dennoch und wurde Dritte – eine ĂŒbermenschliche Leistung.

Die traurigsten Momente ihres Lebens im schönsten Wettkampf ihres Lebens musste die Kanadierin Joannie Rochette in Vancouver erleiden. Ihre Mutter Therese starb zwei Tage vor Beginn der Wettbewerbe – die Emotionen der so sympathischen EislĂ€uferin bleiben unvergessen und berĂŒhrten jedes Herz.
Joannies Bronzemedaille, die sie ihrer Mutter widmete, hatte goldene TrÀnen.

Die norwegische SkilanglÀuferin Marit Björgen wurde die erfolgreichste Athletin der Winterspiele mit dreimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze. Norwegens Biathlon-König schaffte gar seine sechste Goldmedaille seit 1998.

Lee Jung-Su, der koreanische Short Tracker, Petter Northug, der norwegische SkilanglĂ€ufer, der ĂŒber 50 Kilometer Axel Teichmann nur knapp auf Rang zwei verwies, und Emil Svendsen, der norwegische Biathlet, wurde mit jeweils 2 x Gold, 1 x Silber die erfolgreichsten mĂ€nnlichen Athleten. FĂŒr „Premieren“ sorgten der kanadische LanglĂ€ufer Brian Mc Keever und der Lette Haralds Silovs. Der fast vollstĂ€ndig erblindete Brian Mc Keever ist der erste Sportler, der sowohl an Paralympischen als auch Olympischen Spielen teilnahm. Haralds Silovs ist der erste Athlet, der bei Olympischen Spielen innerhalb von 24 Stunden in zwei verschiedenen Sportarten (Eisschnelllauf/Short Track) startete.

Simon Ammann fĂŒgte seinen beiden Goldmedaillen 2002 im Skispringen nun 2010 zwei weitere hinzu. Damit ist der Schweizer der Skispringer mit den meisten Einzel-Goldmedaillen. Die chinesische Short Trackerin wurde mit 3 x Gold die erfolgreichste Eissportlerin 2010. Ja, es gibt noch die großen Persönlichkeiten „auf Eis und im Schnee“.

Aber zurĂŒck zu den deutschen Stars und Sternchen: Die deutschen Olympionikinnen und Olympioniken boten wieder Herausragendes, aber die Frauen waren der Aktiv-Posten im Team. Ohne das olympische FrĂ€ulein-Wunder „Made in Germany“ wĂ€re das Olympia-Team nicht wieder vorn gewesen. Starke Persönlichkeiten, wie Maria Riesch, die noch 2006 wegen eines Kreuzbandrisses Olympia verpasste, wurde Doppel-Olympiasiegerin in der Kombination bzw. im Slalom, die junge Viktoria Rebensburg schaffte Sensations-Gold im Riesenslalom, Biathletin Magdalena Neuner sorgte fĂŒr sportive Sternstunden, die Skeletoni Kerstin Szymkowiak und Anja Huber holten das erste Edelmetall in dieser Sportart fĂŒr Deutschland, die junge EisschnelllĂ€uferin Stephanie Beckert erkĂ€mpfte zweimal Silber, Rodlerin Tatjana HĂŒfner setzte die deutsche Gold-Tradition in ihrer Sportart fort, die EisschnelllĂ€uferinnen im Team-Sprint mit Anni Friesinger-Postma, Katrin Mattscherodt, Stephanie Beckert oder Daniela AnschĂŒtz-Thoms, usw., usw.

Auch der Jubel der SkilanglĂ€uferinnen Claudia Nystad und Evi Sachenbacher war in ihrem Teamsprint grenzenlos – Gold hatte ihnen kaum jemand zugetraut.
Als Zugabe folgte Silber in der Staffel. Die LanglĂ€uferinnen, vorher als „trainingsfaul“ von „Experten“ kritisiert, erwiesen sich als fleißige Medaillensammlerinnen.
Die viel zitierte Frauen-Power – im deutschen Olympia-Team gab es sie wirklich.

Aber sind Medaillen wirklich so wichtig, sind sie wirklich das „Nonplusultra“ ? ZĂ€hlt nicht allein die Teilnahme mehr als der Sieg? Frommes, naives Wunschdenken. Wer die tief-traurigen Augen der so anmutigen Skeletona Melissa Hollingsworth aus Kanada nach dem Skeleton-Wettbewerb sah – dort landete sie als Top-Favoritin nur auf Rang fĂŒnf – wußte spĂ€testens da, dass nur ein Motto gilt „Ein guter Platz, der zĂ€hlt nicht viel, eine Medaille ist das Ziel !“.

Deutsche, Amerikaner, Norweger, Koreaner oder Schweizer erwiesen sich bis zum 12.Wettkampftag als „ausverschĂ€mte GĂ€ste“, nahmen an Edelmetall mit, was sie nur kriegen konnten.

Dabei wollten die Kanadierinnen und Kanadier, die bei ihren bisherigen Heim-Spielen 1976 in Montreal oder 1988 in Calgary nie Gold gewannen, das erklĂ€rte Ziel „StĂ€rkste Nation“ unbedingt erreichen. Doch es lief nicht wie gewĂŒnscht. Insbesondere nicht im alpinen Skisport, obwohl man gerade dort eine Erfolgstradition hatte.

Die kanadischen Skilanglauf-Damen, die seit 2002 bei Olympia, WM oder im Weltcup immer auf Medaillenfang gingen, blieben 2010 ohne Edelmetall. Auch im Skeleton der Damen, im Herren-Einzel im Eiskunstlaufen, im Paarlauf, in einzelnen Disziplinen des Eisschnelllaufens und vor allem im Rennrodeln lief es fĂŒr den Gastgeber nicht wie gewĂŒnscht. Zu allem Übel verlor man in der Vorrunde gar gegen den Erz-Rivalen im Eishockey bei den Herren mit 3:5, aber es sollte ein „Happy End“ folgen …

Man sah den kanadischen Zuschauern zuvor allerdings ihre EnttĂ€uschungen bei manchen aussichtsreichen Entscheidungen mit ungĂŒnstigem Ausgang fĂŒr „Team Canada“ an, obwohl sie immer fair und gerecht blieben..

Das gilt auch fĂŒr die kanadischen Sportler 
 Unvergesslich der herzliche GlĂŒckwunsch von Melissa Hollingsworth, die Top-Favoritin, die „nur“ FĂŒnfte wurde, an Kerstin Szymkowiak oder Anja Huber im Skeleton.

Aber Kanada kann kĂ€mpfen, wie gerade in der Nationalsportart Eishockey schon eindrucksvoll bewiesen. Nachdem es im Schlittensport (Rennrodeln/Zweierbob der Herren) oder Skisport (einschließlich Biathlon) ĂŒberhaupt nicht gut lief, setzte der Gastgeber zum Endspurt an. Goldene oder medaillentrĂ€chtige Momente wurden im Ski-Cross, im Herren-Skeleton, im Eishockey, im Curling, im Eistanzen, im Eisschnelllaufen, im Short Track oder im Damen-Zweier-Bob zelebriert. Man gewann zwar nicht – wie erhofft – die meisten Medaillen, dafĂŒr stellte man verdientermaßen die zahlreichsten Olympiasiegerinnen und Olympiasieger – insgesamt 14. Die 15.Goldmedaille hat sich ohnehin das kanadische Publikum verdient.

Doch nicht alles lief „gut“ bei diesen Winterspielen…
FĂŒr den „Fauxpas“ der Spiele sorgte ein niederlĂ€ndischer Trainer.
Der schickte seinen SchĂŒtzling auf die unkorrekte Bahn. Falsche Entscheidung. Falsche Richtung. Das Gold ging „richtigerweise“ an die Konkurrenz.

Und: Nicht alles war zudem optimal bei Winter-Olympia 2010. Von der Bob- und Rodelbahn ganz zu schweigen. Die Eismaschinen funktionierten zunĂ€chst beim Eisschnelllauf nicht, die Zeitnahme beim Biathlon war defekt, u.a. wurden drei Schwedinnen bei der Verfolgung zu spĂ€t auf die Strecke geschickt. Wetter-Kapriolen waren an der Tagesordnung, Wettbewerbsverschiebungen und – verzerrungen die Folge. Olympia-Gegner randalierten in der Innenstadt.

VorwĂŒrfe an die Olympiastadt sind jedoch fehl am Platze. Vancouver und Whistler wollten keine perfekten, sondern menschliche Spiele. Am Ende waren sie menschlicher, als manche ertragen konnten. Sie passten in die aktuelle widersprĂŒchliche Zeit.

Olympia 2010 – das waren auch die Spiele der Sport-Politiker, der Sport-FunktionĂ€re und Sport-Manager, also jene Spezies, die sich fĂŒr wichtig halten, aber es in den seltensten FĂ€llen sind.

Es wurden leider auch die Spiele der FunktionĂ€re: Wie begeistert war so mancher Sportpolitiker, wenn es ihm gelang, einer erfolgreichen Olympionikin mit Gold die Hand schĂŒtteln zu können.. Daheim geht es ja zurzeit wenig „goldig“, begeisternd zu.
Wie borniert mitunter SportfunktionĂ€re sein können, zeigt die Reaktion einiger IOC-Altvorderen auf die Freude der kanadischen Eishockeyspielerinnen nach dem gewonnenen Finale gegen die USA. Da wurde auf dem Eis mit Sekt angestoßen und „PolonĂ€se“ mit Zigarre gelaufen. „Solche Bilder“ wolle man nicht sehen !, so der offizielle IOC-Kommentar.

Wenn jemand „so“ feiern will, dann in der Kabine. Oder wie einige FunktionĂ€re in luxuriösen Hotels, wo sicher nicht nur Selters getrunken und Abstinenz geĂŒbt wird.
Statt feucht-fröhliche Siegesfeiern zu kritisieren, wĂ€re „trockene“ und deutliche Kritik zu vereisten Ski-Pisten oder zu gemein-gefĂ€hrlichen Bob- bzw. Rodel-Bahnen seitens des IOC sicher angebrachter.

Es gab aber auch die uneingeschrĂ€nkt fröhlichen Momente im Olympiasport 2010: Viele trendige Sportarten wurden begeistert aufgenommen: Die Ski-Crossies „mundeten“ Ă€hnlich wie die Auftritte von Shaun White mit dem Snowboard oder von der Australierin Lydia Lassila im Trick-Ski. Deutschland blieb zwar nicht im „Trend“, war aber medaillensĂŒchtig im Schlittensport, bei den Alpinen oder im Bobsport bei den Herren. Andre Lange und Kevin Kuske komplettierten in Whistler ihre eindrucksvolle Medaillen-Bilanz auf viermal Gold und einmal Silber – einzigartig.

Einzigartiges – im kĂŒnstlerisch wie sportlichen Sinne – leisteten nicht zuletzt die nordamerikanische Eistanz-Paare Tessa Virtue/Scott Meir sowie Meryl Davis/Charlie White. Beide Duos zelebrierten Kunst auf dem Eis !

Die „Kracher“ fĂŒr die kanadischen Sportfans waren jedoch die Olympiasiege im Damen-Eishockey und vor allem im Herren-Eishockey. 1920 gewann Kanada die erste Eishockey-Medaille ĂŒberhaupt. In Vancouver gab es die achte – dank des Tores von Super-Star Sidney Crosby zum 3:2 in der VerlĂ€ngerung gegen die USA. Kanada im Ausnahmezustand !

Auch die Welt war im olympischen Ausnahmezustand: 3,5 Milliarden Menschen sahen und „hörten“ die WettkĂ€mpfe der Olympischen Winterspiele 2010 – die HĂ€lfte der Menschheit. Trotz Kommerzes, extremer Vermarktung, DopinggerĂŒchten, FunktionĂ€rsgebaren oder sonstiger Vorbehalte – Olympia und die olympische Idee leben.

Der Sport bewegt: Das wurde auch bei der letzten Entscheidung der Olympischen Winterspiele deutlich, als Kanada die USA schlugen. Ausgelassene Freuden-TĂ€nze auf dem Eis und auf den RĂ€ngen. In den Straßen Vancouvers und in ganz Kanada.

Diese Winterspiele, die so viele Emotionen weckten, bleiben unvergesslich.

Was auch die Erfolge der bereits angesprochenen SkilanglĂ€uferin Claudia Nystad vom WSC Erzgebirge Oberwiesenthal betrifft. Als es darauf ankam, war sie da – und ihre mittlerweile handzahmen Kritiker ebenfalls …

„Medaillen sind das Symbol fĂŒr den Schweiß, das Blut und die TrĂ€nen einer jeden Sportlerin, eines jeden Sportlers !“

Claudia Nystad ĂŒber die Olympischen Winterspiele 2010, destruktive Kritik, die Stimmung bei den deutschen SkilanglĂ€uferinnen, ihr soziales Engagement und ihre „sommersportlichen Vorlieben“

Frage: Claudia, erst einmal einen ganz herzlichen GlĂŒckwunsch zu Ihrem Gold im Teamsprint mit Evi und natĂŒrlich auch zu Staffel-Silber. Wie harmonieren eigentlich eine fröhliche Bajuwarin, wie Evi, und eine eher nachdenkliche SĂ€chsin und „halbe Wikingerin“, wie Sie, im Training und außerhalb der Loipe. Immer alles „bestens“ ?

Claudia Nystad. Foto: Deutscher Skiverband

Claudia Nystad: Vielen Dank fĂŒr die GlĂŒckwĂŒnsche. Ja, Evi und ich harmonieren im und neben dem Training sehr gut, anders kann man auch nicht so erfolgreich sein, wie wir es im Team waren. Dass Evi fröhlich ist und ich nachdenklich, das wurde allerdings ĂŒber Jahre in den Medien aufgebaut, wenn man uns privat kennt, dann kann es durchaus sein, dass sich das Bild komplett dreht. Aber die Erfahrung will ich keinem vorweg nehmen. (Anmerkung:

Frage: Mehr als „bestens“ war Ihr Wettkampf im Teamsprint. Dabei: Was gab es in den letzten zwölf Monaten nicht alles an Negativ-Schlagzeilen aus dem Lager der deutschen SkilanglĂ€uferinnen: Trainer-Wechsel war angesagt, von „Zicken-Kriegen“ wurde gesprochen, viel mediale HĂ€me und Spott ausgeschĂŒttet, das Engagement der Athletinnen harsch kritisiert. In den meisten FĂ€llen unsachlich wie unbegrĂŒndet.
Wie sind Sie, aber auch Ihre Team-Kameradinnen, mit dieser Kritik, dieser HĂ€me umgegangen ? Schweißt so etwas eher zusammen ? Und: FĂŒhlen Sie nun angesichts des Teamsprint-Goldes und des Staffel-Silbers eine „große Genugtuung“ ?

Claudia Nystad: Ich fĂŒhle keine Genugtuung 
 Mir tun solche Menschen leid, die sich ĂŒber andere Personen profilieren wollen. Wenn wir als fast „zahnlose, alte Frauen, die zu faul sind, zu trainieren und ausgetauscht gehören“, trotzdem in der Lage sind, auf das Podium zu kommen, dann haben wir entweder ein ĂŒberdurchschnittlich hohes Talent oder Olympia ist vom Niveau zu niedrig fĂŒr uns, oder ganz einfach: Es stimmt nicht, was in den Medien ĂŒber uns gesagt wurde.

Ich denke, es ist die dritte Variante, wobei ich eine der Frauen bin, die Zeitungen in der Saison nicht liest, da ich an den Berichten ĂŒber mich festgestellt habe, dass manchmal höchstens ein Prozent stimmt, aber das auch nur, wenn der Name richtig geschrieben wurde.  Aus der Sicht von Athleten braucht man ein Umfeld, was einen in Erfolgszeiten und auch in harten Zeiten unterstĂŒtzt sowie aufbaut. Es ist nur oft leider so, dass alle zu uns halten, wenn die Fahne gehisst wird und in schwierigeren Zeiten stehen wir fast allein da.

Frage: Sowohl im Teamsprint als auch in der Staffel demonstrierten Sie große Power. War Ihr Siegeswillen nach den ganzen Diskussionen ganz einfach „unbĂ€ndig“ ?

Claudia Nystad: Als Athlet kann ich mich nicht vom Druck aus den Medien stören lassen, sonst hĂ€tte ich keine Chance auf internationalen Erfolg bei Großereignissen wie Olympia. Dass ich an den Sprint- und Staffeltagen in so guter Form war, lag an der Vorbereitung. Ich habe dieses Mal darauf verzichtet, jedes der sechs Rennen zu bestreiten, um mich auf zwei ganz bestimmte LĂ€ufe besser konzentrieren zu können. Damit habe ich mentale, als auch physische Energie gespart und war durch meine Erfahrungen aus den letzten Jahren perfekt vorbereitet. Dass allerdings solche, meist verletzenden Aussagen nicht helfen, ein Team voran zu bringen, das muss ich, und da bin ich mir sicher, keinem erklĂ€ren.

Frage: Sie gelten fĂŒr die Norwegerinnen und Norweger als „Drama-Queen“, nachdem sie den NordlĂ€nderinnen schon einige Male „gutes Edelmetall“ wegschnappten. Sie sind nun seit fĂŒnf Jahren mit dem Norweger Trond Nystad verheiratet. Angesichts der „ewigen Kritik und Nörgeleien `Made in Germany`“ hatten Sie da schon einmal gedacht: „Das alles tue ich mir hier nicht mehr an. Jetzt starte ich fĂŒr Norwegen.“ ?! Wie beurteilen Sie generell den Stellenwert des Skilanglaufes in Deutschland ?

Claudia Nystad: Ich habe in der Tat darĂŒber nachgedacht, nach der Heirat die norwegische StaatsbĂŒrgerschaft anzunehmen. Aber die Konkurrenz in Norwegen ist auch nicht gerade einfach. Außerdem bin ich jetzt sehr froh, dass ich es nicht getan habe, weil mir so die schönen Momente entgangen wĂ€ren, die ich mit Evi bei dem Teamsprint in Vancouver 2010 erlebt habe. Der Stellenwert von Skilanglauf in Deutschland ist meiner Ansicht nach sehr hoch, da durch die vielseitigen Wettkampfarten und interessanten Massenstarts enorme Spannung aufgebaut wird.
Im Vergleich zu Biathlon haben wir allerdings in den letzten Jahren in Sponsoren-Hinsicht und an Publicity etwas verloren.

Frage: Gerade die deutschen Winter-Olympionikinnen in Whistler und in Vancouver ĂŒberzeugten, ob Biathletin Magdalena Neuner, die Skifahrerin Maria Riesch bzw. Viktoria Rebenburg, Rodlerin Tatjana HĂŒfner, die Skeletoni Kerstin Szymkowiak oder Anja Huber, PaarlĂ€uferin Aljona Sawtschenko, (Bobfahrerin Sandra Kiriasis), die EisschnelllĂ€uferinnen Jenny Wolf bzw. Stephanie Beckert oder nun Evi und Sie. Schinden sich Sportlerinnen mehr als ihre Kollegen ? Sind sportive Frauen willensstĂ€rker und selbstkritischer – und schieben Misserfolge nicht nur auf Ă€ußere UmstĂ€nde ? In Deutschland gibt es ja nicht nur im Sport die viel zitierte „Frauen-Power“ ?

Claudia Nystad: Der Grad zwischen Erfolg und Misserfolg ist sehr schmal. Ich denke nicht, dass es in dieser Hinsicht einen Unterschied gibt, zwischen uns deutschen Frauen und deutschen MĂ€nnern. Wir sind alle ausgebildet in dem gleichen und einzigartigen Sportförderungssystem (Sportschulen, Sportfördergruppen Bundeswehr und Bundespolizei, etc.). Erfolg ist eher ein Faktor von Talent und unterstĂŒtzendem Umfeld und hat weniger zu tun mit spezifischen mĂ€nnlichen oder fraulichen QualitĂ€ten.

Frage: Sie gehören zu den Sportlerinnen, die auch ĂŒber den sportlichen Tellerrand hinausblicken, sich fĂŒr soziale Projekte engagieren. So versteigerten sie zu Gunsten der Stiftung „HĂ€nsel und Gretel“, die Kinderschutzprojekte fĂŒr missbrauchte Kinder fördert, ihre olympische Staffel-Goldmedaille 2002. Sich von der olympischen Goldmedaille zu trennen, die ja das „Nonplusultra“ fĂŒr eine Sportlerin bzw. einen Sportler symbolisiert, ist Ihnen dieser Schritt nicht schwer gefallen ? Gibt es einen ganz besonderen Beweggrund fĂŒr Ihr soziales Engagement ?

Claudia Nystad: Die Medaille an sich ist das Symbol fĂŒr den Schweiß, das Blut und die TrĂ€nen. Wichtiger fĂŒr den Athlet ist der lange Weg, den man gehen muss, um zu den Olympischen Spielen zu kommen und die Emotionen, die sich wĂ€hrend dem Weg dorthin bzw. danach auftun. Mir ist dieser Schritt ĂŒberhaupt nicht schwer gefallen, weil es das erste Mal war, dass ich mit meinem Namen anderen Menschen in Not helfen konnte. Ich fĂŒhle mich eher privilegiert, dass ich in einer Situation bin, in der dieses soziale Engagement im großen Stil möglich ist.

Frage: Bei Ihnen hat der Alterungsprozess ja mit 18 aufgehört. Sotschi 2014 dĂŒrfte doch das nĂ€chste Ziel sein ? Oder wollen Sie lieber die norwegischen Fjorde erkunden ?

Claudia Nystad: Gerade jetzt bin ich in der Stimmung, mit meiner Mannschaft die Erfolge zu feiern und wir werden die Saison zusammen zu Ende laufen. Was danach kommt, das besprechen wir auch erst danach.

Frage: Was macht eine Claudia Nystad eigentlich im Sommer ? TrĂ€umen Sie unter heißer Sonne von verschneiten, klirrend kalten Gegenden ? Wird ganz einfach nur der gekĂŒhlte Cocktail genossen ?

Claudia Nystad: Ich trĂ€ume immer von warmen StrĂ€nden und heißer Sonne und nicht zuletzt von Beach-Boys. Ich bin eine Sommersportlerin, aber leider gefangen im Körper einer Wintersportlerin 😉 . Anders, als viele wissen, ist unsere Haupttrainingszeit im Sommer und somit auch die Zeit, wo wir am meisten reisen und trainieren.

Frage: ZurĂŒck zu den BegleitumstĂ€nden bezĂŒglich des Teamsprint-Olympiasieges 
 – Was die Kritik von Medien, Trainern und FunktionĂ€ren der letzten Monate betrifft: Welche „Lehren“, Erkenntnisse ziehen bzw. zogen Sie aus diesen „verbalen Einlassungen“ ?

Claudia Nystad: Im Nachhinein weiß ich, dass jeder mit Erfolg umgehen kann, aber fast keine Menschen mit Misserfolg. Die sehr wenigen Menschen, die in schwierigen Zeiten zu mir gehalten haben, sind meine wahren Freunde.

Frage: Bereits vor Olympia gab es Druck von Sport-Politikern, -FunktionĂ€ren oder sonstigen -„V.I.P.`s“ hinsichtlich der Medaillen-Ausbeute – in allen Sportarten. Wie ist die Meinung einer Sportlerin dazu ?

Claudia Nystad: Ich finde es eher schön, dass sich so viele hoch profilierte Menschen unserer Gesellschaft fĂŒr Sport interessieren. FĂŒr mich entsteht dadurch kein Druck. Ich freue mich, dass das Augenmerk somit auf unseren Sport gelenkt wird.

Letzte Frage: Was waren fĂŒr Sie die besonderen Momente der Winterspiele 2010 ?

Claudia Nystad: Die Hilfsbereitschaft aller AttachĂ©s im olympischen Dorf hat mich tief beeindruckt. Eine der Frauen hat mir zum Beispiel vor meinem ersten Rennen meinen Laufanzug, der nicht perfekt gepasst hat, umgenĂ€ht. Die freiwilligen Helfer haben extrem hohe Anerkennung verdient. Bei Regen und Schnee standen sie draußen und hatten fĂŒr jeden ein freundliches Wort. Auch das schlechte Wetter hat mich beeindruckt, sieben Tage Dauerregen 
 Wobei: An unserem Goldmedaillentag war es wunderschöner Sonnenschein!

Fakten zu Claudia Nystad

Jahrgang 1978 – Verein: WSC Erzgebirge Oberwiesenthal – Beruf: Sportsoldatin, Grafik-Design-Studentin – Erfolge: Olympische Spielen 2002-2010 – 2 x Gold, 3 x Silber, Weltmeisterschaften 2003-2009 – 1 x Gold, 4 x Silber, 3 Weltcup-Siege

Und hier der ultimative endgĂŒltige Medaillenspiegel der XXI.Olympischen Winterspiele 2010

(Anmerkung: Dieser „Spiegel“ schien ja medial ohnehin das Wichtigste zu sein, nur vergaßen dabei viele, dass in einem Spiegel alles seitenverkehrt erscheint. Die RealitĂ€t „via Spiegel“ bleibt immer relativ 
)

Rang-Nation-Gold-Silber-Bronze

01.Kanada 14-7-5
02.Deutschland 10-13-7
03.USA 9-15-13
04.Norwegen 9-8-6
05.SĂŒdkorea 6-6-2
06.Schweiz 6-0-3
07.China 5-2-4
08.Schweden 5-2-4
09.Österreich 4-6-6
10.Niederlande 4-1-3
11.Russland 3-5-7
12.Frankreich 2-3-6
13.Australien 2-1-0
14.Tschechien 2-0-4
15.Polen 1-3-2
16.Italien 1-1-3
17.Slowakei 1-1-1
17.Weißrussland 1-1-1
19.Großbritannien 1-0-0
20.Japan 0-3-2
21.Kroatien 0-2-1
21.Slowenien 0-2-1
23.Lettland 0-2-0
24.Finnland 0-1-4
25.Estland 0-1-0
25.Kasachstan 0-1-0

M.Michels

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