Para Schwimmen-Europameisterschaften: Torben Schmidtke trotzt einem verkorksten Jahr mit mehreren Hiobsbotschaften und kĂ€mpft sich mit SpaĂ zurĂŒck, doch die Perspektive ist ungewiss
Im Trainingslager auf Lanzarote versucht Torben Schmidtke so gut es geht Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Kunst ist es, sich in acht Wochen in bestmögliche körperliche Verfassung und in EM-Form zu bringen. âMit intensivem Training werde ich jetzt das Beste aus dieser Situation machenâ, sagt der Athlet des SC Potsdam, der sich in ĂŒber zehn Jahren Leistungssport ein gutes Grundlagenniveau antrainiert hat. Die angesprochene Situation hatte ihren Ursprung schon im Sommer 2017. Windpocken im Trainingslager verhinderten einen Start bei der letztjĂ€hrigen WM in Mexiko. Diese musste zwar aufgrund des schlimmen Erdbebens in den Dezember verschoben werden, doch auch zu diesem Zeitpunkt war an eine Teilnahme nicht zu denken. âIch habe hart trainiert, aber es ging gar nichts. Ich konnte einfach nicht schnell schwimmen und habe mich richtig schlecht gefĂŒhltâ, berichtet Schmidtke rĂŒckblickend.
Harte RĂŒckschlĂ€ge: Windpocken und eine neue Startklasse
Bei der mĂŒhsamen Ursachenforschung landeten die Ărzte wieder beim Ursprung: den Windpocken. Schmidtke erwischte ein aggressives Virus, das den Körper nachhaltig schwĂ€chte. Acht Wochen Zwangspause wurden verordnet â mitten in der EM-Vorbereitung. Statt des wichtigen Grundlagentrainings musste sich der 29-JĂ€hrige schonen. Und hatte noch einen weiteren herben RĂŒckschlag zu verkraften. Im Zuge der ĂberprĂŒfung der Klassifizierung, der sich alle Schwimmerinnen und Schwimmer auf Anordnung von World Para Swimming unterziehen mussten, folgte der Schock. Startete Schmidtke zuvor ĂŒber seine Paradestrecke 100 Meter Brust in der Starklasse SB6, muss er kĂŒnftig in der SB7 gegen noch schnellere, weil weniger beeintrĂ€chtigte Konkurrenten antreten â so das Resultat der Klassifizierung im Februar in Kopenhagen.

Akzeptiert hat er das Ergebnis noch immer nicht, zu subjektiv könne bei den Messungen vorgegangen werden. Doch nach weiteren ĂberprĂŒfungen in Kopenhagen und im Juni in Berlin bleibt ihm wohl nichts anderes ĂŒbrig, als sich damit abzufinden. âDas war sehr schwer zu verdauen. Man fĂŒhlt sich sehr niedergeschlagen, wenn man plötzlich raus ist. Ich weiĂ, dass ich weltweit gesehen in dieser Startklasse eigentlich keine Chance habe. Die Weltspitze ist mir einige Sekunden voraus, selbst wenn ich wieder im Bereich meiner Bestzeit schwimmen sollte â das ist schon eine harte Erkenntnisâ, konstatiert Schmidtke, dessen Beine und der linke Arm nicht vollstĂ€ndig ausgebildet sind (Dysmelie). Bundestrainerin Ute Schinkitz ergĂ€nzt: âDie EnttĂ€uschung war auch deshalb so groĂ, weil ihm jahrelanges TĂŒfteln mit Blick auf einen möglichst effektiven Beinschlag mit seinen Dysmelien beim Wassertest im Rahmen der Klassifizierung nun zum Nachteil ausgelegt wurde.â
Lange hĂ€ngen lassen hat sich der 29-jĂ€hrige Schweriner dennoch nicht. Geholfen haben ihm dabei vor allem seine Familie, Freunde und das Trainerteam. Schmidtke rappelte sich wieder auf und arbeitet ehrgeizig â auch wenn acht Wochen Vorbereitungszeit fĂŒr einen Schwimmer ziemlich wenig sind. âDas Training macht mir trotz allem weiter SpaĂ, den sollte man sich auch nicht nehmen lassen. Ich betreibe seit 14 Jahren Leistungssport und habe schon tolle Erfolge gefeiert, Schwimmen ist meine Leidenschaftâ, sagt Schmidtke, der Mitglied im Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes ist.
Schmidtke: âNach der EM werden wir sehen, in welche Richtung es gehtâ
LĂ€ngerfristig nach vorne blicken will er derzeit dennoch nicht. âIch möchte erst abwarten, wie die EM lĂ€uft und dann werden wir sehen, in welche Richtung es gehtâ, erklĂ€rt Schmidtke. Somit werden die Europameisterschaften in Dublin gewissermaĂen zum Wegweiser fĂŒr seine sportliche Zukunft. âIch werde auf neue Gegner treffen und muss selbst erst einmal gucken, wer da jetzt neben mir schwimmtâ, sagt der zweimalige Paralympics-Medaillengewinner schmunzelnd. Torben Schmidtke ist bei der EM eine WundertĂŒte. Er werde mit freiem Kopf und ohne groĂe Erwartungen an den Start gehen und freue sich sehr ĂŒber die UnterstĂŒtzung von Familie und Freunden vor Ort. âUnd dann schauen wir mal, was dabei herauskommt. Vielleicht hilft ja auch die Lockerheit.â Die Hiobsbotschaften, so scheint es, hat der 29-JĂ€hrige gut weggesteckt.
Und das Jahr 2018 hatte fĂŒr den Schwimmer des SC Potsdam auch nicht nur schlechte Nachrichten parat. Zum 1. Januar wurde Torben Schmidtke Beamter auf Probe bei der Bundespolizei, fĂŒr die er bereits seit 2013 im Referat Materialmanagement tĂ€tig ist. Die Entstehungsgeschichte ist etwas kurios. Bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes nach den Paralympics in London 2012 traf er auf den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. âIch habe ihn einfach angesprochen, ob er einen Job fĂŒr mich hatâ, erzĂ€hlt Schmidtke lachend. Und es klappte. Ein GlĂŒckstreffer. âIch bin sehr dankbar dafĂŒr und habe bei der Arbeit viele FreirĂ€ume. Meine Kollegen unterstĂŒtzen mich nicht nur in dieser Hinsicht wahnsinnig gut, sondern verfolgen meine WettkĂ€mpfe auch im Livestream oder manchmal sogar in der Halle.â
Die Kombination aus Leistungssport und Beruf passt damit hervorragend. Bei den Europameisterschaften in Dublin wird sich zeigen, ob Schmidtke sich auch sportlich wieder zurĂŒckkĂ€mpfen kann nach den vielen RĂŒckschlĂ€gen zuletzt. Doch aufgeben, das hat er schon jetzt bewiesen, ist nicht sein Ding. Und auch wenn die Perspektive derzeit eher bescheiden scheint: Vielleicht gelingt es ihm ja doch, wieder an alte Erfolge wie in London oder Rio anzuknĂŒpfen, aus denen er in schlechten Phasen viel Energie und Kraft zieht. Abschreiben, so viel steht fest, sollte man Torben Schmidtke definitiv noch nicht
Mehr zum Top Team, das von der Allianz Deutschland AG, der Sparkassen-Finanzgruppe, der Deutschen Telekom AG und der Toyota Deutschland GmbH gefördert wird, zum Hintergrund und zum Kader finden Sie auf der Internetseite der Deutschen Paralympischen Mannschaft.
Mehr Neulinge als alte Hasen
Ăber die HĂ€lfte des deutschen Aufgebots wird bei den Para Schwimmen-Europameisterschaften in Dublin vom 13. bis 19. August ihre Premiere auf internationaler BĂŒhne feiern. So wird Bundestrainerin Ute Schinkitz mit zehn Neulingen unter den 19 Athletinnen und Athleten nach Irland reisen. WĂ€hrend es fĂŒr die DebĂŒtanten um neue Erfahrungen geht, wollen die Ambitionierten in den Kampf um Edelmetall eingreifen.
âWer schon Medaillen gewonnen hat, der will auch wieder eine habenâ, stellt Ute Schinkitz klar. Dabei denkt sie in erster Linie an die drei Medaillengewinner der Paralympics von Rio 2016. Allerdings lief die Vorbereitung fĂŒr Denise Grahl, Maike Naomi Schnittger und Torben Schmidtke nicht reibungslos und ohne Störungen. Schmidtke wird nach lĂ€ngerer Ausfallzeit und in der neuen Starklasse ĂŒber seine Paradedisziplin 100 Meter Brust eine WundertĂŒte und Schnittger plagte sich zunĂ€chst mit einer Handverletzung und nun mit einem Infekt. Sie war jedoch in diesem Jahr schon ebenso schnell unterwegs wie Denise Grahl, der ĂŒber 50 Meter Freistil sogar ein Europarekord gelang. Doch auch Grahl musste krankheitsbedingt aussetzen, hinzu kommt die Doppelbelastung aus Arbeit und Training. Medaillen möchte sie auf dem RĂŒckflug dennoch mit ins GepĂ€ck nehmen. Leider verletzt ausfallen wird mit Janina Breuer die Paralympics-Teilnehmerin 2016 und Doppel-Weltmeisterin von 2017.
Ebenfalls in Richtung Edelmetall schielen Verena Schott, Elena Krawzow sowie auch Daniel Simon und Tobias Pollap. Simon ĂŒberraschte in dieser Saison bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin mit deutschen Rekorden ĂŒber 50 Meter Brust und 100 Meter Schmetterling. Ebenfalls einen deutschen Rekord knackte Taliso Engel ĂŒber 100 Meter Brust. Das Bemerkenswerte: Die Bestzeit hatte weit ĂŒber ein Jahrzehnt Bestand und wurde aufgestellt von Daniel Clausner, Paralympics-Sieger 2004 in Athen. Weiteres bemerkenswertes Detail: Der sehbehinderte Taliso Engel ist gerade einmal 16 Jahre alt und erlebt nach 2016 nun bereits seine zweite EM.
Daneben könnte das Motto lauten: âJugend forschtâ. Die jĂŒngsten Teilnehmer unter den zehn DebĂŒtanten sind die 15-jĂ€hrigen Neele Labudda und Josia Topf. Insgesamt betrĂ€gt das Durchschnittsalter des deutschen Teams nur gut 20,5 Jahre. âEine EM ist immer eine gute Gelegenheit, um reinzuschnuppern und internationale Erfahrungen zu sammelnâ, erklĂ€rt Bundestrainerin Schinkitz und betont aber: âEs geht auch um persönliche Bestzeiten zum Höhepunkt. Alle haben Chancen auf eine Finalteilnahme. Allerdings ist eine WM schon noch eine andere Hausnummer und das weltweite Niveau deutlich höher.â Hier sei es die Aufgabe, optimale Trainingsbedingungen in Verbindung mit Schule, Ausbildung oder Beruf zu schaffen, um sich Schritt fĂŒr Schritt weiterzuentwickeln. âSonst wird es schwierig, mit der weltweiten Konkurrenz mitzuhaltenâ, sagt Schinkitz. Wie gut sich ihre Athletinnen und Athleten im europĂ€ischen Vergleich verkaufen werden, wird sich ab dem 13. August in Dublin zeigen.
Das deutsche EM-Aufgebot 2018:
Jasmin Beutler (17, Cottbus, SC Potsdam), Gina Böttcher (17, Brandenburg an der Havel, SC Potsdam), Malte Braunschweig (18, Berlin, Berliner Schwimmteam), Fabian Brune (17, Attendorn, VfG Finnentrop), Marlene Endrolath (17, Göppingen, Berliner Schwimmteam), Taliso Engel (16, Lauf an der Pegnitz, SG Bayer), Denise Grahl (25, Schwerin, Hanse SV Rostock), Adam Karas (17, Unna, Schwimmfreunde Unna), Elena Krawzow (24, Nowowoskresenowka/Kasachstan, PSC Berlin), Neele Labudda (15, LĂŒbeck, Hanse SV Rostock), Tobias Pollap (32, Hattingen, SG Bayer), Katherina Rösler (16, Rostock, Hanse SV Rostock), Torben Schmidtke (29, Schwerin, SC Potsdam), Maike Naomi Schnittger (24, Yokohama/Japan, SC Potsdam), Verena Schott (29, Greifswald, BPRSV Cottbus), Daniel Simon (29, Darmstadt, VSG Darmstadt), Peggy Sonntag (19, Oschatz, BV Leipzig), Josia Topf (15, Erlangen, SV Erlangen), Johannes Weinberg (16, Oberstdorf, TV 1860 Immenstadt).
HintergrĂŒnde zu den Sportlerinnen und Sportlern unserer Deutschen Paralympischen Mannschaft finden Sie unter www.deutsche-paralympische-mannschaft.de.
Quelle: Kevin MĂŒller, DBS