Olympische Nachdenklichkeit vor Pyeongchang

Sarajevo und die Winterspiele 1984

Symbolfoto
group of men skating on ice sports arena. warm-up before competitions in speed skating

Nun beginnen sie also bald, die 23.Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Am 9.Februar geht es los. Bis zum 25.Februar werden  rund 3000 Sportlerinnen bzw. Sportler aus circa 90 Ländern um Gold, Silber sowie Bronze in 102 Entscheidungen, ob im Nordischen bzw. Alpinen Skisport, im Biathlon, im Freestyle-Skisport, im Snowboarden, im Eisschnelllaufen, im Short Track, im Eiskunstlaufen, im Eishockey, im Curling und im Schlittensport.

Olympische Tagträume…

154 deutsche Athletinnen und Athleten qualifizierten sich fĂĽr Pyeongchang und werden – glaubt man einigen „Experten“ und „Weissagern“ – Platz eins im Medaillenspiegel belegen, obschon die Aktiven, und nicht nur die, vor derartigen Prognosen warnen. Olympia hat bekanntlich seine eigenen Gesetze.

Nun, zum Start der Olympischen Winterspiele 2018, scheint alles Negative vergessen zu sein – jeder Frevel an Natur, Menschen und olympischer Idee. Die olympischen Offiziellen, viele Sportfunktionäre und nicht wenige Sportpolitiker, können plötzlich den Winterspielen 2018 viel Gutes abgewinnen. Sie beschwören den olympische Geist, die olympische Stimmung, als wenn beides – sofern tatsächlich vorhanden – jemals geholfen hätte.

Zurückgeblickt – die Olympischen Winterspiele 1984

Ein Beispiel dafĂĽr ist Sarajevo`84… Vor 34 Jahren, am 8.Februar 1984, begannen die 14.Olympischen Winterspiele in der heutigen Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Damals war noch nicht alles so gigantisch – knapp 1300 Athletinnen und Athleten aus 49 Ländern nahmen an den Spielen in Sarajevo teil.  Auch die Anzahl der Wettbewerbe (39) blieb ĂĽberschaubar und eine durchgestylte Infrastruktur, wie heute von IOC und Sponsoren gefordert, musste auch nicht sein.

Sportliche Heldinnen und Helden

Die Stars, die Helden, die Erfolgreichen der 1984er Winterspiele wurden ebenfalls noch nicht so ungehemmt vermarktet, wie es heute der Fall ist.

Für viel sportliche Furore sorgten bei den Skilangläuferinnen und Skilangläufern die Finnin Marja-Liisa Hämäläinen (3 x Gold, 1 x Bronze) sowie der Schwede Gunde Svan (2 x Gold, 1 x Silber, 1 x Bronze). Im Biathlon, nur für die Herren, setzten der Westdeutsche Peter Angerer und der Norweger Eirik Kvalfoss mit jeweils 1 x Gold, Silber sowie Bronze die Akzente.

Im alpinen Skisport dominierten die USA mit 3 x Gold, durch William Johnson (Abfahrt), Phil Mahre (Slalom) und Debbie Armstrong (Riesenslalom) bzw. 2 x Silber und die Schweiz mit 2 x Gold, durch Max Julen (Riesenslalom) und Michela Figini (Abfahrt) bzw. 2 x Silber.

Für den damals noch existenten Vielvölkerstaat Jugoslawien gab es Silber durch den gebürtigen Slowenen Jure Franko im Riesenslalom.

Doppelte Moral…

Doppelte Moral bewiesen die IOC-Oberen allerdings auch damals: Die Liechtensteinerin Hanni Wenzel (Deren Tochter Tina Weirather ist in Pyeongchang eine aussichtsreiche Medaillenkandidatin im alpinen Skisport!) und der Schwede Ingemar Stenmark durften – aufgrund ihres offiziellen „Profi-Daseins“ – nicht im alpinen Skisport starten. „Staatsamateure aus Ost und West“, die sich jedoch auch nur um ihren Sport kümmerten, aber eben nicht „offiziell Profi“ waren, durften hingegen in Sarajevo teilnehmen. Früher war also auch nicht alles besser…

Zurück zum Sportlichen: Im Eisschnelllaufen bei den Frauen räumte das DDR-Team mächtig ab: 4 x Gold, 4 x Silber, 1 x Bronze. Die restlichen drei Bronzemedaillen gingen an die UdSSR. Im Rennrodeln siegten drei Länder: Italien dank Paul Hildgartner im Herren-Einsitzer, Westdeutschland dank Hans Stanggassinger/Franz Wembacher im Doppelsitzer und die DDR dank Steffi Martin im Damen-Einsitzer. Die DDR brillierte mit dem Piloten Wolfgang Hoppe ebenfalls in beiden Bobsport-Konkurrenzen.

Deutsche mit 11 x Gold…

Im Eiskunstlaufen sorgten Katarina Witt und im Eistanzen Jayne Torvill/Christopher Dean (Grossbritannien) für „Gänsehaut pur“. Im Skispringen waren Jens Weissflog (DDR) und Matti Nykänen (Finnland) die Besten. Und das Eishockey-Turnier, damals auch nur für Männer, entschied die UdSSR für sich.

Auf dem olympischen Demonstrationsprogramm stand seinerzeit der Riesenslalom im alpinen Handicap-Skisport. M-V durfte zudem jubeln, ĂĽber Silber des gebĂĽrtigen GĂĽstrowers Frank-Peter Roetsch ĂĽber 20 Kilometer im Biathlon.

Am Ende lautete die Ausbeute für die beiden „Deutschländer“ 11 x Gold, 10 x Silber, 7 x Bronze, wobei der DDR-Anteil daran mit 9 x Gold, 9 x Silber, 6 x Bronze exorbitant war.

Mit Abstand folgte der auch nicht mehr existierende Vielvölkerstaat UdSSR mit 6 x Gold, 10 x Silber, 9 x Bronze.

Tja, die Deutschen – zumindest einige Funktionäre und Sportpolitiker – haben es eben gern, in Medaillenspiegeln „ganz oben“ zu stehen. Zum Ruhme des Sportes, des Mutter- bzw. Vaterlandes und zur Befriedigung des eigenen politisch-funktionärstechnischen Egos.

Da war und ist die Haltung vieler Sportlerinnen und Sportler viel sympathischer, die Olympia, auch wenn es ziemlich ramponiert wurde und wird, als sportliche ErfĂĽllung eines Lebenstraumes begreifen.

Lebensträume zerstört

Lebensträume wurden aber acht Jahre später an gleicher Stelle zerstört, als Sarajevo zwischen 1992 und 1995 während des Bosnien-Krieges belagert wurde – zunächst unter Gleichmut einer Mehrheit der „Öffentlichkeit“. 11000 Tote und 50000 Verletzte – das war die Bilanz von Sarajevo nach dem Krieg 1995, gerade einmal 11 Jahre nach den Winterspielen 1984.

Der vermeintliche olympische Geist war längst verflogen, alle sportlichen und menschlichen Werte wurden zerstört.

Hatten die Winterspiele 1984 wirklich vor 30 Jahren etwas bewirkt?! Sie galten ja seinerzeit als die besten, gepaart mit Toleranz, Aufrichtigkeit, Verständnis und ehrlichem Miteinander.

Schöner olympischer Schein

Aber es war alles nur geschönte Fassade… Hinter den olympischen Kulissen sah es ganz anders aus, der Welt wurden vor 30 Jahren nur „Potjomkinsche Dörfer“ unter den fünf olympischen  Ringen geboten. Die Entwicklung nach 1984 überraschte nur jene, die damals bewusst alles negierten, was nicht in das eigene, selbst inszenierte Weltbild passte, die von der Realität keine Notiz nahmen.

Parallelen zu heute gibt es durchaus…

Wieder wird der Austragungsort plötzlich hoch gelobt, wollen einige unbedingt die „Pole Position“ im Wintersport, haben die Spiele mit globalen politischen wie militärischen Widrigkeiten zu kämpfen.

Geschichte wiederholt sich nicht, Sportgeschichte auch nicht. Wirklich?!

Marko Michels

 

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