Auch ein Güstrower und ein Barther waren mittendrin
Vor fast 30 Jahren war Kanada – zum zweiten Mal – Gastgeber Olympischer Spiele. War Montreal 1976 Austragungsort der XXI. Olympischen Sommerspiele, so richtete Calgary im Februar 1988 die XV. Olympischen Winterspiele aus.
Übersichtliches offizielles Programm und „Demo-Sportarten“
Seinerzeit war das offizielle olympische Programm noch sehr übersichtlich. 46 Entscheidungen im Biathlon, Bobsport, Eishockey, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Rennrodeln, Ski-Alpin und Ski-Nordisch gab es. Allerdings: Zudem wurden 22 Konkurrenzen in den damaligen olympischen Demonstrationssportarten Curling (zwei), Ski-Freestyle (sechs) bzw. Short Track (zehn) und in den Vorführ-Wettkämpfen im Wintersport für Athleten mit Handicaps (vier), jeweils Riesenslalom für Oberschenkelamputierte bei Frauen bzw. Herren und Fünf-Kilometer-Skilanglauf für Sehbehinderte bei Frauen bzw. Herren, angeboten.
Gerade aufgrund dieses zusätzlichen Programmes wurde deutlich, dass der Wintersport noch vielfältiger, noch kreativer und noch umfassender ist, als es bis dato die (medaillenträchtigen) Sportarten Schlittensport, Eisschnelllauf oder Skisport (Nordisch / Alpin) dokumentierten.
DDR mit 25 Medaillen
Die DDR, die damals noch als „Sportwunderland“ galt, beteiligte sich am Zusatz-Programm nicht und schaffte 19 ihrer 25 Medaillen allein im Eisschnelllaufen (13) sowie im Rennrodeln (6). Des Weiteren errang die DDR drei Medaillen im Bobsport, zwei Medaillen, durch den gebürtigen Güstrower Frank-Peter Roetsch, im Biathlon und eine Medaille durch Katarina Witt im Eiskunstlaufen. Leer ging der „Arbeiter- und Bauern-Staat“ im Ski-Nordisch, Ski-Alpin (Dazu fehlten der DDR nun einmal die Alpen!) und im Eishockey (Gab ja ab 1970 nur noch zwei Teams in Berlin und in Weißwasser…) aus.
„Fliegende Holländerin“ im Eis-Oval
Im Eisschnelllaufen siegten bei den Herren überraschend Uwe-Jens Mey über die 500 Meter und Andre Hoffmann über die 1500 Meter. Von den Frauen hatte man „mehr“ erwartet, zumindest ein „Mehr“ an Goldmedaillen. Die gingen jedoch an die „fliegende Holländerin“ Yvonne van Gennip (1500 Meter, 3000 Meter bzw. 5000 Meter) und an die US-Amerikanerin Bonnie Blair (500 Meter). Nur Christa Rothenburger war letztendlich für die DDR im Eisschnelllauf siegreich – über die 1000 Meter. Bei den Sommerspielen im September/Oktober 1988 in Seoul gewann Christa Rothenburger auch Silber im Sprint des Bahnradsportes – ein Novum.
Nach den Winterspielen 1988 murrten führende SED-Sportfunktionäre, die eigentlich einen totalen Triumph der DDR-Eisschnellläuferinnen „eingetaktet“ hatten, mehr oder minder laut. Am Ende fehlten die vier Goldenen im Frauen-Eisschnelllaufen, um den „Großen Bruder“ Sowjetunion, wie bereits bei den Olympischen Winterspielen 1984 in Sarajevo, im Medaillenspiegel 1988 erneut zu überflügeln.
DDR-Goldene auch im Biathlon, Eiskunstlaufen und Rennrodeln
Die anderen olympischen Goldmomente für Deutschland-Ost erlebten 1988 der bereits erwähnte Güstrower Frank-Peter Roetsch (SG Dynamo Zinnwald) über die 10 Kilometer bzw. 20 Kilometer, „Carmen“ Katarina Witt im Eiskunstlauf und im Rennrodeln Jens Müller (Herren-Einsitzer), Jürg Hoffmann/Jochen Pietzsch im Doppelsitzer und Steffi Walter-Martin (Damen-Einsitzer). Im Juni 2017 verstarb Steffi Walter-Martin im Alter von nur 54 Jahren an einer Krebserkrankung…
Murren auch in Deutschland-West
Auch in Deutschland-West wurde gemurrt. Mit der Medaillen-Ausbeute im offiziellen Programm war man dort gar nicht zufrieden. Man schaute neidvoll nicht nur auf die DDR, sondern auch auf die Schweiz und haderte mit der dürftigen Medaillen-Bilanz. Die „Bundis“ erkämpften immerhin zwei Goldene – durch Marina KIel im alpinen Abfahrtslauf und Hans-Peter Pohl, Hubert Schwarz bzw. Thomas Müller im Mannschaftswettbewerb der Nordischen Kombination.
Dabei holten westdeutsche Athletinnen und Athleten in Calgary 1988 sogar noch mehr Goldmedaillen, aber „nur“ in den Demonstrations- und Vorführ-Entscheidungen. Tatjana Mittermayer gelang Rang eins (Moguls) im Ski-Freestyle – ebenso wie Hermann Reitberger, der im Ski-Freestyle im Ballett-Wettbewerb jubelte. Gold erreichte zudem Alexander Spitz im Riesenslalom für oberschenkelamputierte Athleten.
Was blieb aber von den Winterspielen 1988 in Calgary nachhaltig in Erinnerung?!
Das war die herzliche Gastfreundschaft der Kanadierinnen und Kanadier, die liebevoll ihre Spiele präsentierten, auch wenn vieles nicht wie gewünscht lief. Da war der „Chinook“, der warme Fallwind, der Bobfahrern, Rodlern und Alpinen zusetzte, da waren die windanfälligen Schanzen, da gab es bornierte Preisrichter im Eiskunstlaufen und missmutige Sportfunktionäre.
Katarina Witt wieder mit Eiskunstlauf-Gold
Das Duell „Carmen gegen Carmen“ zwischen Debi Thomas (USA) und Katarina Witt endete mit einem Erfolg der Chemnitzerin, die sich nach der Wende „Staatstreue“ vorwerfen lassen musste, obwohl sie von der DDR-Staatssicherheit auch intensiv bespitzelt bzw. gegängelt wurde, außerdem versucht wurde, sie zu manipulieren, und man ihr nicht zuletzt seitens der SED-Funktionäre extrem misstraute, in ihr einen „potenziellen Republikflüchtling“ sah. Leider sah man in ihr nur das „schönste Gesicht des Sozialismus“, aber leider nicht die eigenständige Sport-Persönlichkeit, die sie ja vordergründig ist. Aber das gilt für andere, nicht angepasste Sport-Persönlichkeiten in Deutschland ja auch, denkt man nur an Boris Becker. Wehe, man funktioniert nicht so, wie es der mediale und politische Mainstream es gern möchte…
Bornierte Preisrichter und echte Amateure
Ähnliche Erfahrungen machten Calgary 1988 auch die französischen Geschwister Isabelle und Paul Duchesnay im Eistanz, die mit ihrem „Dschungeltanz“ diese Disziplin im Eiskunstlaufen weiter revolutionierten – so beeindruckend, wie seit dem „Bolero“-Olympiasieg von Jayne Torvill/Christopher Dean (Großbritannien) 1984 nicht mehr. Leider wurden Isabelle und Paul von den Preisrichtern gnadenlos unterbewertet und fanden sich letztendlich auf Rang acht wieder… Ein olympischer Skandal!
Unvergessen bleiben von Calgary 1988 auch der britische Skispringer Eddie Edwards („Eddie the Eagle“), ein Amateur im besten Sinne, dessen Leben 2016 verfilmt wurde, oder die legendäre jamaikanische Bob-Mannschaft, die sich ihre Reise nach Calgary auch mit Reggae-Gesängen verdiente. Die Verfilmung über dieses Team „Cool Runnings“ (1993) war weltweit ein großer Erfolg in den Kinos.
Die erfolgreichsten Athletinnen und Athleten der Winterspiele 1988 waren indes der finnische Skispringer Matti Nykänen und die niederländische Eisschnellläuferin Yvonne van Gennip mit jeweils drei Goldenen. Der Schweizer Hippolyt Kempf gewann den Einzel-Wettkampf der Nordischen Kombination. Die für die SU startende Litauerin Vida Venciene errang Gold im 10 KIlometer-Skilanglauf.
Vreni und Alberto zweimal vorn
Die Eidgenossin Vreni Schneider triumphierte im Spezial- und im Riesenslalom. Alberto Tomba („Tomba la Bomba“) machte ihr Gleiches bei den Herren im Spezial- und im Riesenslalom nach. Der Schwede Tomas Gustafson holte über die 5000 Meter und 10000 Meter Gold im Eisschnelllaufen. Hier schaffte der gebürtige Barther Roland Freier, Jahrgang 1964, für den SC Karl-Marx-Stadt startend, jeweils Rang acht. Im Bobfahren sicherten sich die Schweizer mit Pilot Ekkehard Fasser (Vierer) und das lettisch-russische Duo Janis Kipurs/Wladimir Koslow (Zweier) die Goldmedaillen (Anmerkung: Im Bobfahren hatte die DDR zumindest auf eine Goldene gehofft.).
Ein Brite ebenfalls mit zwei Goldenen
Der Brite Wilf O`Reilly feierte zweimal Gold im Short Track über die 500 Meter und über die 1000 Meter. Gold im Short Track gab es unter anderem auch für China (einmal). Der Norweger Hans Aalien sorgte im 5 Kilometer-Skilanglauf für Sehbehinderte dafür, dass sein Land in Calgary 1988 nicht ohne Goldmedaille blieb.
Das Herren-Eishockey-Turnier war hingegen „eine Angelegenheit“ für die „Sbornaja“. Gastgeber Kanada verfehlte als Vierter die Medaillen-Ränge dort nur knapp…
Blick auf Kanada
Überhaupt die Gastgeber: Im offiziellen Programm schafften sie zweimal Silber (durch Brian Orser bzw. Liz Manley im Eiskunstlaufen) und dreimal Silber (durch die Alpine Karen Percy im Abfahrtslauf bzw. im Super-G und Tracy Wilson/Robert McCall im Eistanz).
Dafür „räumten“ die Kanadierinnen und Kanadier in den olympischen Demonstrationswettkämpfen sehr gut „ab“. Im Curling errangen sie einmal Gold, einmal Bronze, im Ski-Freestyle ebenfalls einmal Gold, einmal Bronze und im Short Track einmal Gold, sechsmal Silber, dreimal Bronze. Zu Gold kamen die Frauen-Curlerinnen um Skip Linda Moore, der Ski-Freestyler Jean-Marc Rozon (Aerials) und die Short Trackerin Sylvie Daigle über die 500 Meter.
Blickt man auf die Medaillenwertung der Winterspiele 1988 in Calgary (bei Berücksichtigung der Demonstrations- und Vorführ-Wettbewerbe), ergibt sich folgendes Ranking: Die Sowjetunion wurde mit 29 Medaillen (11 x Gold) Erster vor der DDR mit 25 Medaillen (9 x Gold), der Schweiz mit 19 Medaillen (5 x Gold), Kanada mit 19 Medaillen (3 x Gold), den USA mit 13 Medaillen (4 x Gold), Westdeutschland mit 12 Medaillen (5 x Gold), den Niederlanden mit 12 Medaillen (5 x Gold) und Österreich mit 12 Medaillen (4 x Gold).
Edelmetall in Calgary 1988 schafften auch Schweden, Italien, Norwegen, Finnland, Frankreich, Japan, China, Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Korea (zweimal Gold im Short Track!), Großbritannien und Liechtenstein.
Bei den vierten Winter-Paralympics 1988 in Innsbruck waren übrigens Norwegen, Österreich, Westdeutschland und Finnland am erfolgreichsten.
Calgary 1988 – ein Resümee
Was entgegnete 2009 Frank-Peter Roetsch auf die Frage, welche Olympia-Teilnahme (1984 in Sarajevo, 1988 in Calgary und 1992 in Albertville), unabhängig vom dortigen Erfolg, die schönste und nachhaltigste für ihn war?!
Frank-Peter Roetsch dazu: „In diesem Fall sind die erfolgreichsten auch die nachhaltigsten Spiele, also Calgary 1988. Kanada versteht es, Völker zu verbinden. Das imponiert mir am meisten. Die Freundlichkeit, Herzlichkeit und Offenheit der Gastgeber von Calgary spürt man noch heute.“
Hoffentlich gelingt es Pyeongchang, im Februar 2018 zumindest ansatzweise daran anzuknüpfen?!
Marko Michels