„Bin gut ausgelastet und gefordert…“

Rodel-Olympiasiegerin 2002/2006 Sylke Otto über ihre Rodel-Karriere, ihr Leben ohne Rodelschlitten und die Einzel-Entscheidungen 2018 in Pyeongchang

© Sylke Otto

Rennrodeln ist eine deutsche Erfolgssportart, ob bei EM, WM oder Olympia. Die deutschen Rodel-Asse sind immer wieder die fleißigsten Medaillen-Sammlerinnen und -Sammler im Eiskanal. Da ist es schon eine riesige Sensation, wenn einmal eine nichtdeutsche Rodlerin oder ein nichtdeutscher Rodler gewinnt, so wie beim olympischen Herren-Einsitzer-Wettkampf in Pyeongchang, bei dem sich der Österreicher David Gleirscher durchsetzte. Dafür lief es für die deutschen Frauen um so besser: Es siegte Natalie Geisenberger vor Dajana Eitberger. Tatjana Hüfner belegte hinter der Kanadierin Alex Gough einen sehr guten vierten Rang.

Eine äußerst erfolgreiche deutsche Rennrodlerin ist auch Sylke Otto, Jahrgang 1969, die einst für den WSC Erzgebirge Oberwiesenthal startete, und jede Menge Medaillen gewann, so jeweils Olympia-Gold 2002 bzw. 2006, sechsmal WM-Gold zwischen 2000 bzw. 2005 (viermal Einzel/zweimal Team) und fünfmal EM-Gold (zweimal Einzel/dreimal Team) zwischen 1990 bzw. 2000, viermal Gesamt-Weltcupsiegerin (1995, 2000, 2003 bzw. 2004) wurde und insgesamt 37 Einzel-Weltcupsiege erreichte.

MV-SPORT fragte nach

Sylke Otto über ihre frühere leistungssportliche Karriere, die deutsche Erfolgsgeschichte im Rennrodeln, die olympischen Wettkämpfe 2018 in den Einsitzer-Konkurrenzen bei den Frauen bzw. bei den Herren und ihr Leben nach dem Rennrodeln

„Bin gut ausgelastet und gefordert…“

Frage: Frau Otto, Sie selbst sind eine der erfolgreichsten Rennrodlerinnen aller Zeiten, beendeten 2007 ihre sportliche Karriere. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz im Rückblick?

Sylke Otto: Für mich waren die Jahre als Rennrodlerin eine sehr schöne Zeit. Wenn ich heute auf meine Karriere zurückblicke, so bin ich auch stolz auf das Erreichte. Ich habe sehr viele Erfolge feiern dürfen, welcher Sportler, welche Sportlerin hätte sich das nicht gewünscht. Doch in den 27 Jahren als Rennrodlerin gab es nicht nur die attraktiven Momente, natürlich waren da auch Tiefpunkte zu überwinden. Aber insgesamt gesehen, wenn ich die Chance hätte, noch einmal von vorn anzufangen, würde ich alles genauso machen.

Frage: Rennrodeln ist eine deutsche Erfolgsgeschichte. Fast immer gewinnen die deutschen Rodel-Asse bei internationalen Großereignissen wie WM oder Olympia… Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Sylke Otto: Ich habe ja „beide Seiten“ miterlebt, als die Erfolge bei den deutschen Frauen noch nicht so „einsam“ waren (Redaktionelle Anmerkung: Bei Olympia 1992 bzw. Olympia 1994 gewannen die Österreicherin Doris Neuner bzw. die Italienerin Gerda Weißensteiner!). Für Außenstehende mag es manchmal so erscheinen, als seien die Siege der deutschen Rodlerinnen heute eine Selbstverständlichkeit, die locker eingefahren werden. Aber der interne Konkurrenz-Kampf ist schon knallhart.

Bereits eine deutsche Meisterschaft ist faktisch schon so etwas wie eine Weltmeisterschaft. Man sollte daher auch nicht übersehen: Rennrodeln ist ein Einzelsport. Jede bzw. jeder zieht sein „eigenes Ding“ durch, was nicht zwangsläufig heißen muß, dass man jenseits der Rodelbahnen nicht freundschaftlich miteinander umgeht, wobei es immer Ausnahmen geben kann. Beim sportlichen Wettkampf ist sich dann allerdings stets jede bzw. jeder selbst der Nächste. Jede bzw. jeder fährt für sich.

Zum „Erfolgsgeheimnis“ der deutschen Rodel-Asse: Vor allem das Umfeld stimmt. Viele sind ja bei der Bundeswehr oder beim BGS beschäftigt, so können wir uns zu 100 Prozent auf das Rennrodeln konzentrieren.

Aber: Bei den Österreichern, Italienern oder Amerikanern ist es ähnlich. Was bei uns jedoch hinzukommt, ist die gute Nachwuchsarbeit, es gibt bei uns viele Talente für den Rodelsport und die bereits erwähnte harte interne Konkurrenz, die ungemein nach vorn pusht.

Während meiner Rodel-Laufbahn hatte ich, nur um ein Beispiel zu nennen, beim österreichischen Team den Eindruck: Dort war eine sehr gute Frau und dahinter waren zwei andere Rodlerinnen, die diesen Führungsanspruch akzeptierten. So etwas gibt es in Deutschland nicht. Wer vorn mit dabei ist, möchte auch ganz oben stehen.

Frage: Wie bewerten Sie die Ergebnisse bei Winter-Olympia 2018 im Herren-Einsitzer bzw. Damen-Einsitzer?

Sylke Otto: Die Bahn in Pyeongchang ist schon eine äußerst schwierige, wobei die Kurve neun letztendlich der sportliche Scharfrichter in den bisherigen Wettbewerben war.

Dort hatten alle ihre Probleme, nur wer dort am besten durchkam, hatte die Chance auf eine vordere Platzierung. Natalie gelang es, diese Kurve am besten zu meistern und zeigte vier durchgehend sehr gute Läufe. Sie hat sich ihren zweiten Einzel-Olympiasieg wahrlich erkämpft und verdient.  Bereits bei Winter-Olympia 2010 gewann sie Bronze im Einsitzer, dann 2014 jeweils Olympia-Gold im Einsitzer bzw. mit dem Team. Nun wieder Einzel-Gold und die Team-Konkurrenz kommt ja noch.

Aber auch die anderen Mädels, Dajana Eitberger als Zweite und Tatjana Hüfner, die Olympiasiegerin 2010, Olympia-Zweite 2014 bzw. Olympia-Dritte 2006, als Vierte leisteten Hervorragendes. Gerade bei den Damen bestimmt Deutschland das Welt-Niveau maßgeblich mit.

Um Felix Loch tut es mir leid, aber die Bahn in Pyeongchang hat eben die bereits angesprochene „Heimtücke“, die es zu meistern gilt. Aber dennoch ist Rang fünf aller Ehren wert, zumal Felix als Einzel-Olympiasieger 2010 bzw. 2014 plus Team-Gold 2014 bei Winterspielen ja schon außerordentlich erfolgreich war.

Ich freue mich – trotz allem Lokalpatriotismus – schon für den Österreicher David Gleirscher, der als krasser Außenseiter Olympia-Gold bei den Herren errang. Eine klasse Leistung!

…Und zudem ganz toll auch Bronze für Johannes Ludwig, der schon so lange dabei ist und dem ich die Medaille auch von Herzen gönne!

Letzte Frage: Wie sieht Ihr Leben heute aus – beruflich, sportlich und persönlich? Noch „ab und zu“ mit dem Rodelschlitten unterwegs?

Sylke Otto: Ich rodle nur noch mit meinen beiden Kindern – und dann die Hänge hinunter. Nach meinem Karriere-Ende 2007 habe ich definitiv mit dem Rodeln aufgehört, irgendwelche Starts im Seniorinnen-Bereich wollte ich nicht. Das wäre mir für meine Ansprüche zu wenig. Für mich galt die Devise: „Wenn vom Schlitten runter, dann richtig und für immer!“.

Es gibt ein Leben neben dem Rodelsport. So baute ich zusammen mit meinem Lebensgefährten eine Kindertagesstätte auf und betreibe dort einen Laden für Kindersachen, was mir viel Freude bereitet. Außerdem bin ich im Stadtrat in Zirndorf und im regionalen Kreistag politisch aktiv. Also ich bin gut ausgelastet und gefordert.

Vielen Dank und weiterhin alles erdenklich Gute!

M.Michels

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Olympiasiegerinnen aus Deutschland im Rennrodeln/Damen-Einsitzer:

  • 1964 Ortrun Enderlein
  • 1972 Anna-Maria Müller
  • 1976 Margit Schumann
  • 1984 und 1988 Steffi Walter-Martin
  • 1998 Silke Kraushaar
  • 2002 und 2006 Sylke Otto
  • 2010 Tatjana Hüfner
  • 2014 und 2018 Natalie Geisenberger

Sonstiges: Die spätere Wahl-Stralsunderin Ilse Geisler wurde 1964 Olympia-Zweite im Damen-Einsitzer und die spätere Wahl-Rostockerin Ute Rührold, verheiratete Klawonn, schaffte 1972 bzw. 1976 jeweils Olympia-Silber im Damen-Einsitzer.

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