Der Thüringer Ausnahmeathlet strebt auf jeden Fall eine Medaille an.
Die 24. Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin rücken immer näher. Vom 7. bis 12. August 2018 werden rund 1.600 Sportlerinnen bzw. Sportler aus 51 Ländern um Medaillen in 47 Entscheidungen wetteifern. Bislang qualifizierten sich aus MV-Sicht Diskuswerferin Claudine Vita (SC Neubrandenburg) und Marathon-Läufer Tom Gröschel (TC Fiko Rostock). Chancen für Berlin hat zudem noch die für den Hagenower SV startende Schwerinerin Martina Strutz im Stabhochsprung.
Für den Deutschen Leichtathletik-Verband am Start ist auch Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler. Und das mit ganz klarem Ziel. Immerhin gehört er seit ein paar Jahren zur Top Elite seiner Disziplin. Wobei das Jahr 2016 sicherlich das erfolgreichste in seiner Karriere war. So wurde der Athlet vom LC Jena (Thüringen) zum vierten Mal in Folge Deutscher Meister. Dann kam Olympia-Gold, in der Folge der Titel deutscher „Leichtathlet des Jahres“ und die Auszeichnung mit dem Silbernen Lorbeerblatt. 2017 war nicht minder grandios für das Ausnahmetalent. Mit einer Wurfweite von 93,90 m warf er sich auf den aktuell dritten Platz der ewigen Bestenliste. Danach der Sieg mit der Deutschen Mannschaft bei der Leichtathletik-Team-Europameisterschaft und Rang 4 bei der WM in London. Als erster Deutscher ist er Mitglied der IAAF-Athleten-Kommission.
Wie verlief nun die Vorbereitung von Thomas Röhler auf die großen Wettkämpfe 2018. Nachgefragt…
Interview
„Im Speerwerfen geht es bekanntlich sehr eng zu…“
Frage: Herr Röhler, nur noch drei Wochen bis zu den Heim-EM in Berlin 2018… Wie sah Ihre bisherige Saison-Vorbereitung aus? Lief alles nach „Plan“?
Thomas Röhler: Mit dem bisherigen Saison-Verlauf kann ich schon sehr zufrieden sein. Gleich zum Auftakt der Diamond-League-Serie in der Leichtathletik Anfang Mai im katarischen Doha lief es sehr gut. Ich schaffte dort 91,78 Meter. Und beim folgenden Diamond-League-Meeting gelang erneut ein Sieg, mit 89,88 Metern. Damit bin ich im dortigen Ranking führend, was natürlich viel „Rückenwind“ für die baldige EM bedeutet. Insgesamt startete ich vor den EM bei rund einem Dutzend Meetings.
Die verbleibenden zwei Wochen, nach den Deutschen Meisterschaften am 21./22. Juli in Nürnberg, dienen dann der intensiven Vorbereitung auf die EM in Berlin. Letztendlich muß alles am 9. Juli, dem Tag des Finales im Speerwerfen, stimmen. Letztendlich geht es bekanntlich im Speerwerfen sehr eng zu, da entscheidet die unmittelbare Tagesform.
Frage: Welche Hoffnungen hegen Sie für Berlin? Was sind Ihre Minimalziele?
Thomas Röhler: Ich möchte gar kein „Understatement“ betreiben. Ich bin Olympiasieger, strebe auf jeden Fall eine Medaille an. In der derzeitigen Weltrangliste bin ich hinter Johannes Vetter (92,70 Meter) und Andreas Hofmann (92,06 Meter) Dritter. Es könnte also ein deutsche Dreikampf um die Medaillen werden. Wir haben alle das Potenzial über die 95 Meter zu werfen, wobei bei den EM letztendlich nicht die Weite, sondern die Platzierung das Wichtigste ist.
Stark werden sicherlich, ganz traditionell, ebenfalls die Speerwerfer aus Tschechien, Finnland, Griechenland oder den baltischen Ländern sein. Berlin wird bestimmt ein spannender Wettkampf.
Frage: Wann entwickelten Sie eigentlich den Drang zum Speerwerfen? Wann sagten Sie sich: Das muss es sein…
Thomas Röhler: Mich faszinierte bereits als kleines Kind das Werfen, warf sehr gern Steine vom Strand aus in die Ostsee. Auch der Ballwurf machte mir großen Spaß. Allerdings kam ich dann auf leichtathletischen Umwegen zum Speerwerfen, war zunächst Springer. Als dann die körperliche Konstitution stimmte, entschied ich mich als Siebzehnjähriger für das Speerwerfen.
Frage: 2020, Olympia in Tokyo. Was verbinden Sie mit den Olympischen Spielen, die ja aus sportpolitischen und wirtschaftlichen Gründen immer wieder in der Kritik stehen? Was waren für Sie ganz besondere Momente bei Ihrem Olympiastart 2016?
Thomas Röhler: Olympische Spiele sind immer noch das sportliche Nonplusultra für jede Sportlerin und jeden Sportler. Sie haben immer noch eine große Strahlkraft und Attraktivität, für Aktive, Zuschauer und Sportinteressierte. Ihre ganz besondere Referenz ist natürlich die große Historie und sie vermitteln die sportliche Botschaft des Friedens und des ehrlichen Miteinander bzw. Wettstreites.
Sicherlich gibt es Probleme in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, aber diese Schwierigkeiten kann man durchaus überwinden. Leider ist es so, dass hierzulande im Vorfeld großer Sportveranstaltungen medial oftmals ein sehr negatives Bild von den Menschen und den jeweiligen Organisatoren in den Austragungsländern gezeichnet wird – ein Bild, das oftmals nicht den Realitäten vor Ort entspricht.
Letztendlich werden Großereignisse nicht von Regierungen und Politikern organisiert, sondern von Sportverbänden bzw. Sportinstitutionen. Dass es immer Versuche geben wird, gleich wo, Sportveranstaltungen zu politischer Propaganda zu missbrauchen, ist anzunehmen. Nur man muss sich ja nicht missbrauchen lassen! Dazu ist jede Sportlerin und jeder Sportler mündig genug und kann das Geschehen vor Ort durchaus reflektieren.
In Rio war die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen vor Ort jedenfalls beeindruckend. Und das gilt sicher nicht nur für Rio! Für mich sind Olympische Spiele jedenfalls immer noch das Größte, was man als Sportler erreichen kann.
Letzte Frage: Wie sieht Ihr Leben eigentlich ohne Speerwerfen aus? Und… weilten Sie auch schon in M-V?
Thomas Röhler: Ich bin ja Student der Wirtschafts- und Sportwissenschaften, strebe im nächsten Jahr meinen Master in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Jena an. Wenn ich einmal gerade nicht den Speer werfe, widme ich mich dem Fliegenfischen oder dem Fotografieren. Ich wandere auch sehr gern und bin ein sehr naturverbundener Mensch.
Einen Urlaub mit der Familie an der Ostsee strebe ich schon an, insbesondere auf Rügen. Ansonsten hatte ich als jüngerer Athlet auch schon Trainingslager in Zinnowitz auf Usedom.
Vielen Dank, alles erdenklich Gute und maximale Erfolge insbesondere in Berlin!
M-V und das Speerwerfen
1936 – 1988
Speerwerfen ist eine deutsche Leichtathletik-Erfolgsdisziplin. Das schließt auch Mecklenburg und Vorpommern ein. Der frühere Greifswalder Student Gerhard Stöck wurde 1936 Speerwurf-Olympiasieger, Walter Krüger vom SC Traktor Schwerin kam 1960 zu Olympia-Silber und die Absolventin der KJS Güstrow, Ruth Fuchs, schaffte sogar zweimal Olympia-Gold mit dem Speer (1972 bzw. 1976).
Außerdem gehörte der 2018 verstorbene Speerwerfer des SC Traktor Schwerin, Gerald Weiß, in den 1980ern zur absoluten Weltelite, erkämpfte unter anderem 1981 Universiade-Silber und bei Olympia 1988 Rang sechs.
1990 – 2017
Und auch nach der Wende gab es einige erfolgreiche Speerwerfer und Speerwerferinnen mit MV-Background. Tanja Damaske, von 1985 bis 1992 für den SC Traktor Schwerin/Schweriner SC startend, jubelte über WM-Bronze 1997 und EM-Gold 1998. Die gebürtige Rüganerin und einstige Athletin des SC Empor Rostock, Steffi Nerius, feierte überragende Erfolge in den 2000ern. Sie wurde u.a. Olympia-Zweite 2004, Europameisterin 2006 und Weltmeisterin 2009.
Der gebürtige Neustrelitzer und Wahl-Rostocker Mark Frank wurde zwischen 2005 und 2011 dreimal Achter bei Weltmeisterschaften. Und zuletzt belegte Julia Ulbricht (1. LAV Rostock) Rang eins bei den Deutschen U 18-Meisterschaften 2017 sowie im selben Jahr Rang vier bei den U 18-WM.
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EM-Gold für Deutschland
Frauen
1938: Lisa Gelius (Turnerschaft Jahn München) / Marion Lüttge (SC DHfK Leipzig)
1974 und 1978: Ruth Fuchs (SC Motor Jena)
1998: Tanja Damaske (OSC Berlin)
2006: Steffi Nerius (TSV Bayer 04 Leverkusen)
2010: Linda Stahl (TSV Bayer 04 Leverkusen)
Männer
1978: Michael Wessing (TV Wattenscheid)
1982: Uwe Hohn (ASK Vorwärts Potsdam)
1986: Klaus Tafelmeier (TSV Bayer 04 Leverkusen)
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Text und Interview: M. Michels