Zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Die Leichtathletik

Von Helsinki 1983 nach London 2017

Leichtathletik Symbolfoto
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In zehn Tagen beginnen die 16.IAAF-Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die vom 4.August 2017 bis 13.August 2017 in London ausgetragen werden. Die britische Hauptstadt richtete bereits zuvor, vom 14.Juli 2017 bis 23.Juli 2017 die 8.IPC-WM für Leichtathletinnen bzw. Leichtathleten mit Handicaps aus und war dreimal, 1908, 1948 bzw. 2012, Gastgeber olympischer Leichtathletik-Wettkämpfe.

Vorher gab es die IPC-WM und die U 20-EM…

Bei den IPC-WM 2017 nahmen auch zwei Leichtathletinnen aus M-V teil, einerseits die gebürtige Neubrandenburgerin Lindy Ave, die für die HSG Uni Greifswald startet, und andererseits die gebürtige Pasewalkerin Martina Willing, die für Cottbus antritt.

Für beide Sportlerinnen waren die WM letztendlich ein Erfolg. Lindy Ave gewann in ihrer Handicap-Klasse Silber über die 200 Meter, Bronze über die 100 Meter und belegte Rang vier im Weitsprung. Martina Willing schaffte in ihrer Handicap-Klasse Bronze mit dem Speer.

Ansonsten waren Leichtathletinnen bzw. Leichtathleten aus M-V auch „woanders“ gefordert, bei den U 20-EM vom 19.Juli bis 23.Juli in Grosseto (Italien). Für diese Titelkämpfe konnte sich mit Janka Baarck (SC Neubrandenburg, Siebenkampf), Wiebke Griephan (LAV Ribnitz-Damgarten/Sanitz, 4 x 100 Meter-Staffel) und Tim Ader (SC Neubrandenburg, Diskuswerfen) ein Trio qualifizieren, wobei Tim Ader mit Rang vier Edelmetall nur knapp verpasste.

Des Weiteren gab es in Schwerin, im Stadion am Lambrechtsgrund, das zweite Internationale Stabhochsprung-Meeting am 23.Juli. Dort gewann Martina Schultze vom VfL Sindelfingen mit 4,30 Meter.

Kurz vor den IAAF-WM in London ergänzte nun der Deutsche Leichtathletik-Verband noch das deutsche Team. Insgesamt werden aus Sicht des DLV 72 Athletinnen und Athleten in der britischen Hauptstadt starten.

Aber wie begann alles „weltmeisterlich“?!

Die Premieren-Leichtathletik-WM 1983 in Helsinki

Während die Leichtathletik seit 1896 stets zum Programm der Olympischen Spiele der Neuzeit gehört, finden Weltmeisterschaften in dieser Sportart erst seit 34 Jahren statt.

Die ersten Welttitelkämpfe der IAAF wurden 1983 in Helsinki, im dortigen Olympiastadion, ausgetragen und rund 1600 Athletinnen und Athleten aus 153 Nationen starteten in der finnischen Hauptstadt. Dominierend waren damals die „Großen Vier“, die Deutschen aus Ost und West, die USA und die Sowjetunion.

12 x Gold für die „Deutschländer“

12 Goldmedaillen erkämpften deutsche Leichtathletinnen und Leichtathleten. Die USA holten 8 Goldmedaillen und die „Sbornaja“ konnte sechsmal jubeln.

Während bei den Männern die US-Amerikaner die „Pole Position“ inne hatten, waren die deutschen Frauen in acht Disziplinen erfolgreich.

Edelmetall auch „für M-V“

Medaillen und gute Platzierungen wiesen auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Mecklenburg-Vorpommern auf. Langstrecken-Ass Hans-Jörg Kunze vom SC Empor Rostock belegte hinter Alberto Cova aus Italien und Mannschaftskollegen Werner Schildhauer. Bronze erlief in Helsinki auch die gebürtige Demminerin Ellen Fiedler über 400 Meter-Hürden. Zudem gab es „bronzenes Metall“ ebenfalls für Anke Behmer vom SC Neubrandenburg im Siebenkampf und für die gebürtige Demminerin Ilona Slupianek im Kugelstoßen.

Die herausragende Athleten aus dem heutigen M-V war jedoch die gebürtige Wismarerin Marita Koch, die für den SC Empor Rostock startete. Sie war nicht nur die erfolgreichste Norddeutsche bei den Leichtathletik-WM, sondern zugleich die erfolgreichste Sportlerin in Helsinki überhaupt. Sie gewann die 200 Meter und erkämpfte jeweils mit den DDR-Staffeln über 4 x 100 Meter und 4 x 400 Meter Rang eins. Dazu konnte die Hanseatin noch Silber über 100 Meer hinter Marlies Göhr erringen. Drei Jahre zuvor, bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau, hatte Marita Koch Gold über die 400 Meter und Silber mit der DDR-Staffel über die 4 x 400 Meter erkämpft.

Weitere Starterinnen und Starter aus den damaligen Bezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg waren in Helsinki ebenfalls gut dabei. Sprinter Thomas Schröder vom SC Neubrandenburg kam über 4 x 100 Meter mit der DDR-Staffel auf den vierten Rang. Zehnkämpfer Torsten Voss vom SC Traktor Schwerin wurde Siebente – vier Jahre später bei den WM 1987 in Rom erkämpfte er dann den Weltmeister-Titel.

Vereinskamerad Jürgen Schult „warf“ sich und seinen Diskus auf den fünften Rang. Vier Jahre später, 1987, wurde auch er Weltmeister und in Seoul 1988 gar Olympiasieger. In der 4 x 100 Meter-Staffel der DDR sprintete die gebürtige Stralsunderin Silke Möller vom SC Empor Rostock zusammen mit Marita Koch auf das oberste Podest.

Gute Platzierungen verzeichneten Hochspringerin Kerstin Brandt vom SC Empor Rostock (5.Platz) und 100 Meter-Hürdenläuferin Cornelia Oschkenat, die in Neubrandenburg geboren wurde (7.Platz).

Marita und Carl „am goldigsten“

Während Marita Koch die „Gold-Lady“ bei den Leichtathletik-WM 1983 war, räumte US-Boy Carl Lewis bei den Herren ab. Gold gab es für ihn über 100 Meter, im Weitsprung und in der 4 x 100 Meter-Staffel mit dem USA-Team. Die Amerikaner stellten dabei in 37,86 Sekunden einen neuen Weltrekord auf. Einen Weltrekord konnte auch die Tschechoslowakin Jarmila Kratochvilova, zweifache Weltmeisterin über 400 Meter und 800 Meter, in 47,99 Sekunden über 400 Meter aufstellen.

Der Darling der Welttitelkämpfe war zweifellos die erfolgreiche wie anmutige Mittelstrecklerin Mary Decker aus den Vereinigten Staaten, die über 1500 Meter und über 3000 Meter die Konkurrenz aus dem Ostblock distanzierte. Was Finnlands Herren nicht schafften, konnte eine Tochter Suomis vollbringen: Speerwerferin Tiina Lillak konnte über Gold jubeln.

Überraschungen und goldene Momente

Für große Überraschungen sorgten die beiden westdeutschen Leichtathleten Willi Wülbeck und Patriz Ilg. Willi Wülbeck wurde überraschend Weltmeister über 800 Meter – Patriz Ilg im 3000 Meter-Hindernislauf.

Goldene Momente erlebten in Helsinki unter anderem auch Heike Drechsler im Weitsprung, Martina Hellmann im Diskuswerfen, die grazile Russin Tamara Bykowa im Hochsprung, der Jamaikaner Bertland Cameron über 400 Meter und der Geher Roland Weigel über 50 Kilometer.

Die ersten weltmeisterlichen Marathonläufe gewannen Grete Waitz (Norwegen) bei den Damen und Robert de Castella (Australien) bei den Herren. Dort wurde der Olympiasieger von 1976 und 1980 Waldemar Cierpinski Dritter. Der Olympia-Boykott der DDR 1984 verhinderte einen möglichen dritten Olympiasieg. Ja, Politik im Sport bedeutet Destruktivität auf Kosten der Sportlerinnen und Sportler…

Bester Zehnkämpfer wurde der Brite Daley Thompson, der 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles Olympia-Gold errang. Im Siebenkampf der Damen setzte sich Ramona Neubert durch. Der Ukrainer Sergej Bubka gewann 1983 hingegen die erste seiner sechs Weltmeistertitel bis 1997 im Stabhochsprung.

Erfolgreiche WM für USA und Europa

Die WM in Helsinki waren vor allem eine Angelegenheit der US-Amerikaner, West- und Osteuropäer.

Lediglich dem bereits erwähnten Jamaikaner Bertland Cameron (400 Meter) und dem Mexikaner Ernesto Canto (20 Kilometer) gelangen es, diese Phalanx zu durchbrechen.

Enttäuschend das Abschneiden der Afrikaner, die nur drei Medaillen (Bronze über 1500 Meter für Said Aouita/Marokko, Bronze im Dreisprung für Ajayi Agbebaku/Nigeria und Silber für Kebede Balcha/Äthiopien im Marathonlauf) erkämpften. Der Afrika-Boykott zu den Olympischen Spielen 1976 und der afrikanische Teil-Boykott der Spiele 1980 hatten für die Entwicklung des Sportes auf dem „schwarzen Kontinent“ äußerst negative Auswirkungen.

Die Deutschen aus Ost und West konnten hingegen mit Helsinki 1983 zufrieden sein – 30 Medaillen, eine großartige Bilanz. Eine Bilanz, von der die Gesamt-Deutschen heute nur träumen können. Der Erfolg von damals ist dabei nicht nur mit tatsächlichem und vermeintlichem Doping zu erklären!

Medaillenspiegel der ersten Leichtathletik-WM 1983 in Helsinki

Land-Gold-Silber-Bronze

Frauen

1.Deutschland (DDR/Bundesrepublik): 8-6-3 / 2.Tschechoslowakei: 3-2-0 / 3.Sowjetunion: 2-4-6 / 4.USA: 2-1-3 / 5.Finnland: 1-0-0 / 6.Norwegen: 1-0-0 / 7.Großbritannien: 0-2-1 / 8.Jamaika: 0-1-1 / 9.Rumänien: 0-1-0 / 10.Bulgarien: 0-0-2 / 11.Griechenland: 0-0-1

Herren

1.USA: 6-8-4 / 2.Deutschland (DDR/Bundesrepublik): 4-6-3 / 3.Sowjetunion: 4-2-5 / 4.Polen: 2-1-1 / 5.Großbritannien: 2-0-2 / 6.Tschechoslowakei: 1-1-2 / 7.Italien: 1-1-1 / 8.Jamaika: 1-0-0 / 9.Australien: 1-0-0 / 10.Mexiko: 1-0-0 / 11.Irland: 1-0-0 / 12.Finnland: 0-1-1 / 13.Äthiopien: 0-1-0 / 14.Kuba: 0-1-0 / 15.Holland: 0-1-0 / 16.Spanien: 0-1-0 / 17.Bulgarien: 0-0-1 / 18.Nigeria: 0-0-1 / 19.Marokko:0-0-1 / 20.Brasilien: 0-0-1 / 21.China: 0-0-1

Exkurs:

Vor mehr als 60 Jahren: Erste Olympia-Starts von Leichtathleten aus M-V nach 1945

Die ersten Leichtathleten aus dem heutigen Mecklenburg und Vorpommern starteten nach dem zweiten Weltkriegs erstmals wieder 1956 bei Olympia in Melbourne. Für das gesamtdeutsche Team qualifizierten sich unter anderem der aus Neustettin stammende und für den SC Empor Rostock startende Horst Mann, Jahrgang 1927, über 400 Meter und Friedrich Janke, Jahrgang 1931, der in Skordinizia geboren wurde. Friedrich Janke lebte nach 1945 zunächst in Mecklenburg, wechselte dann zum ASK Vorwärts Berlin und startete 1956 über 5000 Meter. 1960 in Rom wurde er auf dieser Distanz Vierter.

Horst Mann mußte verletzungsbedingt während seines 400 Meter-Vorlaufes ausscheiden. Auch Friedrich Janke mußte nach seinem Vorlauf passen. Die erste Olympiamedaille in der Leichtathletik nach 1945 für M-V erkämpfte Walter Krüger, Jahrgang 1932, vom SC Traktor Schwerin mit Silber im Speerwerfen bei Olympia 1960 in Rom.

Übrigens: Die ersten IPC-WM für Leichtathletinnen und Leichtathleten mit Handicaps wurden 1994 in Berlin veranstaltet.

Marko Michels

 

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